Samstag, 23. Oktober
Ouro Preto - Santa Barbara (ca. 80 km)
10 rasante Kilometer bergab von Ouro Preto liegt das schöne Städtchen Mariana, das noch vor dem benachbarten Ouro Preto die Hauptstadt von Minas Gerais war und eine der ältesten Goldgräbersiedlungen in Brasilien ist. Heute ist es eine gemütliche Kleinstadt, die allerdings nicht mehr vom Gold, sondern von der Eisenerzförderung in der Umgebung lebt.
Trotzdem überwiegt der Eindruck einer wilden Berglandschaft. Nur wenige kleine Dörflein säumen den Weg, ansonsten schlängelt man sich einsam und verlassen durch die Wälder der Serra do Espinhaço.
Catas Altas ist das Highlight des heutigen Tages. Der kleine Ort liegt in traumhafter Lage zu Füßen der Berge von Caraça. Hier könnte man stundenlang im Schatten der Kirchlein und Kolonialhäuser lustwandeln. Lediglich das grobe Kopfsteinpflaster vergällt einem den Spaß, zumindest dann, wenn man ein Fahrrad neben sich herschieben muß.
Am späten Nachmittag fahre ich noch ein paar Kilometer weiter nach Santa Barbara, wo ich gerade rechtzeitig zur Siegesfeier des örtlich favorisierten Fußballclubs eintreffe.
Sonntag, 24. Oktober
Santa Barbara / Caraça
Nach den traditionell anstrengenden Samstagabenden wird heute wieder kurzfristig ein Ruhetag eingeschoben. Bei der Hitze heute Rad fahren, nee, das muß nicht sein. Für 30 Real (=8,50 Eur) lasse ich mich in aller Dekadenz von einem Taxi nach Caraça kurven.
In der einschlägigen deutschen und internationalen Reiseliteratur wird dieser Ort kaum erwähnt, für mich ist es einer der schönsten Flecken der bisherigen Reise.
Montag, 25. Oktober
Santa Barbara - Itambé do Mato Dentro (ca. 80 km)
Heute steht eine lange hinausgezögerte Entscheidung an: Wollte ich Brasilia rechtzeitig per Rad erreichen, so müßte ich von jetzt an auf geteerten Straßen und möglichst ohne Umwege fahren. Wenn ich den von mir favorisierten „Schleichweg“ durch die Serra do Espinhaço wähle brauche ich wesentlich länger, und dann wird’s arg knapp und ich müsste das letzte Stück mit dem Bus fahren. Man sollte beim Planen auch öfters mal vorausblättern, denn ein Blick auf das letzte Teilstück nach Brasilia macht mir die Entscheidung leicht: dort gibt es auf den letzten 300 Kilometern keine brauchbare Alternative zur BR 040, und auf der LKW-Rennstrecke Rad fahren, nee, das brauch ich nicht noch einmal.
Am späten Abend ziehen auch noch dunkle Gewitterwolken auf, die beste Gelegenheit also, endlich einmal mein Zelt auszupacken, das ich bisher nutzlos durch die Gegend geschaukelt habe. Zur linken entdecke ich einen Trampelpfad, der mitten in ein kleines Wäldchen führt, das schaut doch gut aus. 4 flache, vegetationsarme Quadratmeter sind auch schnell gefunden, doch noch bevor ich so richtig mit dem Aufbauen anfange fängt es an zu stürmen was das Zeug hält. Innerhalb weniger Sekunden bin ich klitschnaß. Gut so, damit ist das Problem, wie ich ohne Wasser den Staub vom Körper kriegen soll, auch gelöst.
Der arme Kerl kriegt fast einen Herzinfarkt, als da plötzlich ein silbernes Ufo auf „seinem“ Trampelpfad vor ihm aufleuchtet.
Im heimischen Deutschland wäre jetzt wieder die Hölle los, was ich denn hier zu suchen hätte und ob ich nicht wüßte das das verboten sei (isses das wirklich?) und überhaupt, wo kämen wir denn da hin wenn jeder einfach so im Wald zelten würde. Nicht so in Brasilien. Nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hat entschuldigt sich der Mann tausend Mal für die Störung, er hätte sich wegen des Regens verspätet und habe nur die Abkürzung heim zu seiner Hütte auf der anderen Seite des Wäldchens nehmen wollen. Und überhaupt, wenn ich noch Hunger hätte oder noch einen Kaffee wolle müßte ich nur mit kommen, und in seinem Haus wäre es sowieso viel bequemer als hier im Wald, warum ich denn nicht einfach gefragt hätte, ob ich dort übernachten könne, seine Frau wäre doch zu Hause gewesen!
Tja. Das hätte ich in der Tat machen können wenn ich gewusst hätte das da jemand wohnt, aber jetzt liege ich hier eigentlich auch ganz bequem. Trotzdem vielen Dank für die Einladung, „gente boa“.
Dienstag, 26. Oktober
Itambé do Mato Dentro - Conceição do Mato Dentro (ca. 60 km)
Doch als ich nach dem Mittagessen in Morro do Pilar das Restaurant verlasse hat sich das Bild gewandelt: Am Himmel haben sich schwarze Wolken zusammengezogen, ein strammer Wind ist aufgekommen, und kaum bin ich aus der Ortschaft heraus fängt es an zu schütten daß man meint die Welt geht unter. Auf der Piste kommen mir wahre Sturzbäche entgegen, es ist so glitschig dass ich an den steilen Stellen sogar barfuß kaum noch Halt finde. An fahren ist hier sowieso nicht mehr zu denken. Es geht hier durch die herrlichsten Landschaften, aber davon ist kaum etwas zu sehen.
Den ganzen Nachmittag über gießt es, der Tag neigt sich dem Ende entgegen, aber bis Conceição sind es der Wegbeschreibung zufolge immer noch gut 10 Kilometer. In stockdunkler Nacht und im strömenden Regen über eine einsame Erdpiste ohne Wegweiser, das hat was. Zum zelten habe ich bei dem Wetter aber keine Lust, und so kämpfe ich mich weiter voran, bis urplötzlich etwas Glänzendes vor mir auftaucht: Asphalt!!! Juchuhh!!! Ich habe die „Hauptstraße“ erreicht, und da hat doch tatsächlich jemand die letzten 2 Kilometer nach Conceição teeren lassen. Tief unter mir tauchen die Lichter der Stadt auf, in aberwitziger Geschwindigkeit sause ich bergab, das Regenwasser spritzt in weitem Bogen davon und ich komme erst vor dem feinsten Hotel am Platze zum stehen.
Mittwoch, 27. Oktober
Conceição do Mato Dentro - Serro (ca. 60 km)
Weiter geht es heute nicht über eine x-beliebige Piste, sondern über die „MG 010“, also eine ganz offizielle Staatsstraße. In der Praxis unterscheidet die sich jedoch kaum von der gestrigen Strecke, außer durch den viel dichteren Verkehr: Am gesamten gestrigen Nachmittag kam mir als einziges Fahrzeug der Leichenwagen des örtlichen Bestattungsunternehmens entgegen. Der hat sogar angehalten und gefragt, ob ich Hilfe brauche, aber auf eine Mitfahrgelegenheit im Fond habe ich dankend verzichtet... Heute donnern so 2 bis 3 Fahrzeuge pro Stunde an mir vorbei, die mich am Vormittag mit Schlamm zukleistern und am Nachmittag mit Staub einpudern. Erstaunlich, wie schnell die tropische Sonne die Wassermassen von gestern weggebrannt hat.
Bis Serro sind es zwar nur 60 Kilometer, aber bis ich dort ankomme wird es schon wieder dunkel.
Donnerstag, 28. Oktober
Serro - Diamantina (ca. 60 km)
Heute steht noch einmal eine anstrengende Bergetappe bevor, es geht vorbei an spektakulären Felsformationen und durch mehrere kleine Dörfchen aus dem Einzugsgebiet des Rio Doce hinüber zum Jequitinhonha. Der Rio Jequitinhonha mündet erst nach langen Irrwegen oben in Bahia ins Meer, denn wer so einen Namen hat, der kann ja nur Bahiano sein...
Nach längerem Suchen finde ich um die Mittagszeit in einem Dorf, in dem der Hund begraben ist, ein geöffnetes Restaurant. Dort bekomme ich neben gutem Essen auch noch die Information, das die Heulerei heute morgen nicht einem verlorenem Spiel, sondern einem verlorenen Spieler zuzuschreiben war. Der ist nämlich gestern mitten im Spiel vor laufender Kamera tot umgefallen. Herzstillstand. Zack. Aus. Ist schon ne eigenartige Sache mit diesen Spitzensportlern. Da lebe ich mit meiner gemütlichen Fahrerei von einer Wirtschaft zur nächsten sicher gesünder, denn mein Doping besteht hauptsächlich aus Bier und Picanha.
Tja, bis zur nächsten Wirtschaft gilt es nun allerdings noch mehrere tiefe Flußtäler zu überwinden. Am Nachmittag liegt Diamantina scheinbar zum greifen nah vor mir, doch dazwischen liegt leider noch die tiefe Schlucht der „Ribeirão do Inferno“. Da tut einem jeder Meter bergab in der Seele weh. Und die rasante Fahrt bergab über Stock und Stein will kein Ende nehmen. Und dann auf der anderen Seite alles wieder bergauf!
Der Tag geht schon wieder zu Ende, dunkle Gewitterwolken drohen, doch die erreichen mich erst, als ich bereits beim wohl verdienten Landebier in Diamantina sitze.