Vom Zuckerhut ins Planalto

Teil 4: Durchs Hinterland

Von Diamantina zum Rio São Francisco

(und per Bus weiter nach Brasília)






Freitag, 29. Oktober
Diamantina - Monjolos de Minas (ca. 70km)

Ich habe jetzt noch 3einhalb Tage übrig, um Brasilia, noch immer 550 km entfernt, zu erreichen. Da ich in den letzten Tagen eine Tagesleistung von gerade mal 60 km hingelegt habe ist da wohl nix zu machen. Wenn es so weiter geht schaffe ich es gerade so noch bis nach Três Marias. Das liegt an der Hauptstraße von Belo Horizonte nach Brasilia, dort sollte es dann problemlos möglich sein, einen Bus für die restlichen 350 km nach Brasilia aufzutreiben.

Am Vormittag mache ich noch einen Stadtbummel durch die wunderschönen Gässchen Diamantinas, dann sattle ich meinen Drahtsesel und mache mich auf den Weg. Die ersten 10 Kilometer habe ich noch Teer, dann biege ich auf die ‚Abkürzung’ nach Três Marias ab. Nun, zumindest hoffe ich, das ich die richtige Erdpiste erwischt habe, denn angeschrieben steht natürlich wieder mal nichts. Aber die Himmelsrichtung scheint einigermaßen zu stimmen. Ich hatte eigentlich auf den nächsten 100 km noch mit jeder Menge Berge gerechnet, aber schon kurz nach Diamantina wird es bedeutend flacher, ich komme flott voran durch eine karge Felslandschaft.

Ich habe jetzt endgültig den ‚Cerrado’ erreicht. Campo Rupestre nennt sich diese spezielle Erscheinungsform des Cerrado, wie man in der einschlägigen Fachliteratur belehrt wird, mit Felsen durchwachsen, einer sehr charakteristischen Vegetation und einer großen Zahl endemischer Pflanzenarten.

Als Radfahrer interssiert man sich ja nicht nur für die heimische Flora und Fauna, sondern ganz speziell auch für den Straßenbelag. Und da wurde mir hier in Minas Gerais ja schon einiges geboten. Sand, Dreck, Steine, Felsen... Doch was hier rumliegt schlägt dem Fass den Boden aus. Schneeweißer Quarzsand, und dazwischen riesige Quarzkristalle, die anderorts in Wohnzimmervitrinen liegen würden!

Gegen Nachmittag wird die Piste allerdings immer unscheinbarer. Nicht vom Belag her, sondern vom Ausbauzustand. So richtig möchte man nicht glauben, sich noch auf einer offiziellen Staatsstraße zu befinden. Bin ich hier noch richtig? Es gab ja die eine oder andere Abzweigung, aber die waren allesamt noch unscheinbarer. Und jemand zum nachfragen ist mir auf der gesamten Piste noch nicht begegnet.

Doch meine Sorge ist unbegründet. Irgendwann tauchen seltsame ‚Straßenschilder’ auf. Nach einer Weile begreife ich, das es keine Straßen- sondern Bahnwegweiser sind. Man hat hier wohl die Piste genau über die ehemalige Bahnlinie gelegt, die in manchen Karten noch verzeichnet ist. Und so geht es dann ohne unnötige Höhendifferenzen in weitem Bogen hinunter nach Monjolos de Minas, einem kleinen abgelegenen Kaff, in dem ich den schönsten Abend auf dieser Reise verbringen werde.

In der Abenddämmerung mache ich an einer der beiden Dorfbars halt und bestelle mir erst mal was zum runterspülen. Ratzfatz ist man mit jedem in der Kneipe im Gespräch. Irgendwann tippt mir jemand von hinten auf die Schulter, ich drehe mich um, und vor mir steht der kleine Bruder von Robert T. Online. Zumindest sieht er so aus. Mit der Gittare in der Hand gibt er das gesamte Repertoire von Ze Ramalho zum besten, die übrigen Gäste summen die Melodie im Hintergrund mit. Als wir die Kneipe leergetrunken haben wechseln wir die Straßenseite, dort halten wir den Wirt bis in die Morgendämmerung auf Trab. Die Stimmung ist unbeschreiblich. Ich liebe diese Provinznester.






Samstag, 30. Oktober
Monjolos de Minas - Três Marias (ca. 130 km)

2 kurze Stunden habe ich dann doch noch bei ‘Robert’ dessen wirklicher Name Vitorio ist, auf dem Sofa geruht, dann weckt mich seine Frau mit dem Duft von frischem Kaffee und Spiegeleiern.

Um halb 8 geht es weiter, immer noch entlang der alten Bahnlinie, durch eine Landschaft, die einen an einen alten Grizmekfilm erinnert. „Die Serengeti darf nicht sterben“ oder so was. Auf den Bäumen kreischen die Affen und das ganze Tal ist von einem unglaublich schrillen Grillengezirpe erfüllt.

Schon nach einer Stunde erreiche ich Santo Hipolito, ein kleines Dorf mitten im Nichts. Dort gönne ich mir ein zweites Frühstück in einer Bäckerei, die neben Backwaren auch Benzin und Schmierfett im Sortiment führt. Gegen Mittag kreuze ich die BR135, die kaum befahrene Bundesstraße, die Belo Horizonte mit dem Norden Minas Gerais verbindet. Natürlich steht auch hier nirgends angeschrieben, welcher der vielen Feldwege wohl die Fortsetzung „meiner“ MG 220 sein soll. Ich entscheide mich für eine Piste, deren Richtung grob stimmen könnte, obwohl das in diesen Breitengraden um die Mittagszeit herum ohne Kompass ja immer schwer zu bestimmen ist. Erst Stunden später hält neben mir ein LKW, der mir eine Mitfahrgelegenheit anbietet, aber mir genügt es zu erfahren, das ich hier tatsächlich auf dem rechten Pfad bin.

Es geht jetzt durch die scheinbar endlosen Weiten des brasilianischen Planalto. Was ging nur in den Köpfen der Politiker vor, die ausgerechnet in dieser gottverlassenen Gegend ihre Hauptstadt aus dem Nichts stampfen wollten?

Und dann, urplötzlich, erreiche ich wieder Asphalt. Die letzten 20 km nach Três Marias hinein sind geteert. Unten im Tal spiegelt sich die Abendsonne im Rio São Francisco, in der Ferne windet sich die endlose Kolonne aus LKW über die dortige Hauptstraße.






Sonntag, 31. Oktober
Três Marias

Übermorgen Nachmittag muss ich in Brasilia sein. Ich hatte ja doch noch mit dem Gedanken gespielt, die fehlenden 350 km auf der Hauptstraße in eineinhalb Tagen herunterzuspulen. Aber die 5 Kilometer, die ich gestern abend neben den wildgewordenen Motoristas auf der BR 040 fahren musste, haben mir voll und ganz gereicht.

So beschließe ich, den glühend heißen Sonntag lieber an einem Strand des glasklaren „Mar Doce“, des süßen Meeres zu verbringen, wie die Brasilianer den gigantischen Stausee des Rio São Francisco bei Três Marias auch nennen. Gegen Mitternacht besteige ich dann einen Bus mit Liegebett, der mich über Nacht komfortabel nach Brasilia schaukelt.














Montag, 01. November
Brasilia

Als man Brasilia aus dem Boden stampfte war hier noch nichts, nicht einmal eine Straßenverbindung. Bis die erste Piste hierher geschlagen war musste man Baumaterial und Arbeiter sogar einfliegen. Unglaublich, wenn man die Strecke von der Küste bis hierher kennt.

Im Morgengrauen verlasse ich den riesigen Busbahnhof von Brasilia und begebe mich auf Erkundungstour durch die Retortenstadt. Brasilia wurde für Autofahrer geschaffen. Aber früh um 6 schlafen die Beamten und Staatsbediensteten noch und man kann sich auf den 8spurigen Avenidas auch mit dem Rad wohlfühlen.

An der Praça dos Três Poderes erreiche ich das Ziel dieser Radtour.

















Radtour Brasilien




Und hier noch ein paar Bilder:

Von Diamantina nach Brasilia




Durch den Cerrado




Brasilianischer Strassenschotter




Piste auf der ehemaligen Bahnlinie




Serengeti darf nicht sterben




Biertrinken bis zum Morgengrauen mit Robert T. Online und Kollegen




Auf der Staatstraße MG 220




Auf der Eisenbahnbrücke über den Rio das Velhas




Ins Planalto




Endlose Weiten im brasilianischen Planalto




Leicht verstaubter und verschwitzter Radler




In der Abendsonne auf dem Weg zum Rio São Francisco




Sonnenuntergang über dem Rio São Francisco




Sonnenaufgang in Brasilia




Die Kathedrale von Brasilia




Platz der 3 Gewalten im Zentrum Brasilias


Radtour Brasilien

Mail





Click for more South American travelogues
This page is hosted by South America Touring Links Collection of South America biking travelogues