Mit dem Fahrrad von Peru nach Brasilien

Teil 2: Über die Anden

Von Nazca nach Cuzco

Am Rio Apurimac



Freitag, 20. September

Nazca - Pampa Galeras

"Was? Die Straße nach Abancay? Mit dem Fahrrad? Unmöglich! Fahr mit dem Bus! Über Arequipa geht's schneller. Warum nimmst du nicht ein Flugzeug?" So oder so ähnlich lautet die Antwort, wenn man sich rund um Nazca nach der Straße erkundigt, die hier von der Panamericana abzweigt und über Abancay nach Cuzco führt.

Das Ende der Wüstenetappe. Bei Nazca zweigt eine Straße nach Cuzco und damit hinauf in die Anden ab. Zunächst geht es noch ein Stück durch dieses trockene Flusstal, dann werden die Berge langsam höher.

Was als Drohung gemeint war, nämlich die Behauptung, das es über 100 Kilometer lang nur bergauf gehen soll, lässt mich hoffen, denn wenn sich die knapp 4000 Höhenmeter, die es von Nazca bis zum ersten Andenpass zu überwinden gilt, tatsächlich auf 100 Kilometer verteilen sollten, ohne lästige Zwischentäler, so errechnet sich eine angenehme Steigung von unter 4 %. Gerade angenehm zum Fahren.

Andenpässe ziehen sich

Frohen Mutes breche ich also in der Morgendämmerung mein Nachtlager zu Füßen des Cerro Blanco ab und mache mich auf den Weg. Zunächst geht es noch ein Stück durch ein trockenes Flussbett, dann beginnt der lange Anstieg. Schon jetzt am frühen Morgen lässt einen die Sonne gehörig schwitzen. Wie eine Mauer steht die Gebirgskette vor einem, erstaunlich, das man es geschafft hat, hier eine Straße zu verlegen. Aber diese Bergkette ist erst der Anfang. Nach 3 Stunden Plackerei erreicht man eine Art Hochebene, es geht vorrübergehend nur noch flach bergauf. Jetzt steht man auf der Kante, die man von unten noch für den Gipfel gehalten hat und wenn man sich umdreht blickt man von oben auf den Cerro Blanco, den riesigen Sandberg, der gestern Abend noch den Weg zu versperren schien.

Mit jedem Meter, den man höher klettert, wird es grüner. Waren es zunächst nur einzelne Kakteen, so wird nun die Pflanzendecke aus Gestrüpp und Grasbüscheln immer dichter. Irgendwann tauchen dann auch die ersten Guanacos auf, die es weiter oben im Naturschutzgebiet der Pampa Galeras zu Tausenden geben soll. Auch an der einen oder andere menschliche Behausung komme ich vorbei, sogar an einem kleinen Dorf mit Kneipe, in der ich mir ein lauwarmes Bier schmecken lasse.

Bis in den späten Abend hinein wechseln sich steile Anstiege mit flacheren Teilstücken ab. Alle paar Kilometer treffe ich auf einen kleinen Trupp Bauarbeiter in leuchtend orangen Sicherheitsjäckchen, die gerade mit kleinen Flickschustereien an der Straße beschäftigt sind. Von ihnen erfahre ich, das es oben in der "Pampa" ein Restaurant geben soll. Das will ich unbedingt noch erreichen.

Das Restaurant am Ende des Universums. Als Windschutz fürs Zelt sehr willkommen, kochen sollte man aus gesundheitlichen Gründen vielleicht doch besser selber... Höhe: ca. 4.200m

Kurz vor Sonnenuntergang bin ich dort. Das "Wirtshaus" ist ein einfacher Lehmbau mit Wellblechdach. Drinnen befindet sich ein großer Holztisch mit zwei Sitzbänken, in einem Glasschrank liegen völlig verstaubte und vergilbte Keks- und Kaugummischachteln zum Verkauf aus. Die Wände sind schwarz vom Rauch des offenen Herdes, einen Kamin gibt es nicht. In einer Ecke sitzen drei oder vier kleine Kinder mit verfilzten Haaren und verrotzter Nase, die bei meinem Erscheinen wie versteinert im Spiel verharren. Soweit, so gut. Jetzt bin ich extra bis hierher gefahren, jetzt wird auch was gegessen, denke ich mir noch. Als dann aber die Köchin auftaucht - genauso verfilzt und verrotzt wie die Kinder, mit dreckschwarzem Gesicht und schmutzigen Händen, plagen mich erhebliche Bedenken, ob mein verweichlichter europäischer Magen die hiesige Hauskost verträgt. Mit knurrendem Magen ordere ich "Un mate de coca, por favor".

Dennoch ein lohnenswerter Stop. Inzwischen ist es stockdunkel, nur der Schein einer flackernden Kerze erhellt den Raum. Die Leute sind freundlich, aus der völligen Dunkelheit tauchen nach und nach 5 oder 6 weitere Gäste auf. Gegenüber des Restaurants biegt eine Piste in ein paar entlegene Dörfer ab; ich erfahre, das man auf Mitfahrgelegenheit auf einem LKW dorthin wartet. Irgendwann im Laufe des Abends solle er wohl auftauchen.

Nach etlichen Tassen Cocatee - vorsorglich gegen die Höhenkrankheit - und vielen netten Unterhaltungen baue ich mein Zelt windgeschützt im Hinterhof des Restaurants auf. Es ist bitterkalt.





Samstag, 21. September

Pampa Galeras - Puquio

Wäre nicht die Kälte und die gelegentliche Atemnot, nichts würde darauf hindeuten, das man sich hier in über 4000 Meter Höhe befindet. Die Pampa Galeras ist eine weite, leicht wellige Hochebene. Die fast 5000 Meter hohen Andengipfel ragen nur noch als kleine Hügel aus ihr heraus, in einer Höhe, in der es in Europa nur noch Eis und Schnee gibt, weiden hier wilde Vicuña- und Guanacoherden. Auch die Passhöhe des Abra Condorcena auf 4.390 m ist unspektakulär und hat nichts mit den wilden Gebirgspässen der Alpen gemein: Es wird einfach immer flacher und flacher, bis es fast unmerklich in ein Sinken übergeht. Ich stelle fest, das die Einheimischen wieder einmal übertrieben haben. Es sind gar keine 100 Kilometer "pura subida": Der Pass befindet sich bei KM 99,5.

Der Pass in 4300 Meter Höhe ist unspektakulär flach. Von Nazca bis hierher sind es genau 99,5 Kilometer ununterbrochen bergauf.

Später folgt eine lange, steile Abfahrt, hinunter ins Tal des Rio Lomas. Ich schätze, das dabei gut und gerne 2000 Höhenmeter verheizt wurden. Die Landschaft hat sich nun völlig gewandelt, es ist viel grüner, auf terrassenartigen Äckern sind jede Menge Leute am werkeln und immer wieder muss ich Schafe und Ziegenherden von der Straße scheuchen. Als es auf der anderen Seite wieder bergauf geht merke ich endlich, das es hier viel wärmer ist als oben. Meinen dicken Pulli und die Jacke brauche ich jetzt erst mal nicht. Perverserweise führt die Straße nicht im Flusstal entlang, sondern weit hinauf auf die Anhöhe, um danach wieder tief in einen Seitenarm des gleiche Flusssystem abzufallen.

2000 Meter tiefer hat sich die Landschaft völlig gewandelt. Kleine Dörfer und Terrassenfeldbau im Tal der Rio Lomas.

Seltsam. Bisher war die ganze Strecke in einwandfreiem Zustand. Aber die Ortsdurchfahrt von Puquio hat man aus unerfindlichen Gründen nicht asphaltiert. Auch ansonsten macht Puquio keinen einladenden Eindruck. An jeder Ecke lungern finstere Gestalten, alles liegt voller Unrat, das "Gringo, Gringo"-Geschreie klingt hier weniger wohlgesonnen als zuvor und da heute Samstag ist muss man auch noch aufpassen, nicht über eine der zahlreichen Schnapsleichen zu rollen, die traditionell ab dem frühen Nachmittag überall herum liegen. Ich wollte eigentlich hier im warmen Tal übernachten, aber nach diesen Eindrücken fahre ich doch lieber weiter. Kaum ist man aus dem Ort raus ist die Straße auch wieder geteert - Asphalt vom feinsten, das Teilstück von hier bis Cuzco wurde erst in den vergangenen 2 Jahren ausgebaut - es geht durch grüne Wiesen, die mit riesigen Felsklötzen übersäht sind. An einem kleinen Gebirgsbach sind zahlreiche Familien mit Wäschewaschen beschäftigt und winken mir freundlich zu. Ein eigenartiger Ort.

Zeltplatz in ca. 4200 Meter

Den Rest des Tages geht es wieder bergauf. Heute ist es umgekehrt als bei der ersten großen Kletterpartie gestern: Aus dem grünen Tal kommend, wird es mit jedem Meter trockener und einsamer. Als die Sonne hinter den Bergen verschwindet wird es schlagartig kalt, höchste Zeit, sich nach einem Nachtlager umzutun. Nach längerem Suchen finde ich endlich ein flaches Stückchen Land zum Zelten. Ein paar hundert Meter abseits der Straße, einen alten Feldweg entlang und auf einem Bergsattel gelegen habe ich einen herrlichen Blick hinunter in ein unbewohntes Seitental. Genießen kann ich den allerdings nicht lange, denn es pfeift ein frostiger Wind.











Sonntag, 22. September

Puquio - Rio Apiñacoccha

Die eisige Kälte in ca. 4200 Meter heute Nacht war kein Problem. Ich habe vorgesorgt und 2 Schlafsäcke dabei: Einen dicken für die Wüste, einen dünnen für das Amazonastiefland, und beide für die Berge. Aber die dünne Luft lässt einen nur in einen oberflächlichen Schlaf fallen. Zu allem Überfluss ist auch noch das Wasser in meinen Flaschen gefroren, so dass das Frühstück ausfallen muss.

Beim Trinkwasser filtern

Heute ist nicht mein Tag. Es geht den ganzen Tag durch eine herrliche Hochebene, mit glitzernden blauen Seen und schneebedeckten Gipfeln am Horizont. Aber die Müdigkeit und die dünne Luft lassen wenig Freude aufkommen. Ich habe Schwierigkeiten, mich zu konzentrieren. Den ganzen Vormittag fahre ich durch völlig unbesiedeltes Gelände. Ich versuche auszurechnen, wie lange ich noch bis zum nächsten Ort brauchen werde, scheitere aber trotz bestandener Ingenieursprüfung an dieser einfachen Rechenaufgabe. Jetzt ziehen auch noch dunkle Wolken auf, der eisige Wind treibt mir immer wieder Sprühregen ins Gesicht. Irgendwann geht das Ganze in Schneeregen und schließlich in einen richtigen Schneesturm über. Ich kann kaum noch etwas sehen, anhalten bringt aber auch nicht viel, da es nirgends einen Graben oder ein Gebüsch gibt, hinter dem man Schutz suchen könnte. Über eine Stunde kämpfe ich mich so voran und wäre dann fast an den Lehmhütten, die wohl das Dorf darstellen sollen, auf das ich schon die ganze Zeit warte, vorbeigeirrt. Eine Hütte stellt wohl den örtlichen Supermarkt, Funkzentrale, Werkstatt, Bushaltestelle und Restaurant in einem dar. Ich werde eingelassen und mit heißem Cocatee versorgt. Offensichtlich ist Teetrinken hier etwas ganz besonderes, denn die gesamte Dorfjugend - mindestens 15 Rotznasen - hat sich im Abstand von 30 cm um mich herum versammelt und beobachten schweigend jede meiner Bewegungen.

Ein stürmischer Tag in der Hochebene bei Regen und Schnee

Sehr gemütlich ist es aufgrund der fehlenden Heizung nicht, der Wind pfeift durch alle Ritzen. Ich habe mich in meinen gesamten Kleidervorrat gehüllt, aber warm werden will mir trotzdem nicht. Der Schnee ist inzwischen wieder in Regen übergegangen, und als endlich Wind und Regen schwächer werden, mache ich mich wieder auf den Weg. Beim Rad fahren wird einem wenigstens etwas warm.

Am Abend erreiche ich ein etwas tiefer gelegenes Flusstal. Es ist herrlich grün, ringsherum steile Felswände, von denen zahlreiche kleine Wasserfälle stürzen. Würden neben der Straße nicht Lamas und Alpakas mit ihren bunten Bindfäden in den Ohren weiden, würde man sich in einer norwegischen Fjelllandschaft wähnen. In den einschlägigen Reiseführern ist diese herrliche Gegend nicht einmal erwähnt, aber die Busse fahren hier sowieso immer nur Nachts durch.

Frühmorgens oberhalb des Rio Apiñacoccha (?). Im Hintergrund schneeweiße Sandhügel, auf dem Zelt die übliche Eiskruste

Gezeltet wird heute am Rio Apiñacoccha - zumindest wurde er in irgendeiner nicht sehr zuverlässigen Landkarte so benamst. Von den Einheimischen konnte ich nur erfahren, das sie ihn den "Rio" nennen, genauso wie ihre Dörfer meistens "el Pueblo" heißen. Ringsherum türmen sich riesige Hügel aus schneeweißem Sand.











Montag, 23. September

Rio Apiñacoccha - Rio Pacacocha

Frühmorgens ist wie üblich wieder eine dicke Eisschicht auf dem Zelt, aber zumindest war die Wasserflasche neben meinem Schlafsack nicht gefroren. Nach dem Frühstück greife ich das heutige Schmankerl an, den ca. 4.400 m hohen Abra Huashuccasa. Der Anstieg ist allerdings nicht sehr schwierig, er zieht sich über den ganzen Vormittag durch die leicht ansteigende Pampa. Gerade mal ein einziges Dörfchen liegt in dieser eisigen, einsamen Landschaft, in der es auch bei strahlendem Sonnenschein nicht richtig warm wird.

Jetzt wird es wieder wärmer: Die Abfahrt an den Rio Pacacocha, dem die Straße über 100 km lang folgen wird.

Ohne Vorwarnung steht man dann urplötzlich vor einer gewaltigen Schlucht: Fast 2000 Meter tiefer fließt der Rio Pacacocha, dem die Straße nun über 100 Kilometer lang folgen wird. Die Abfahrt ist atemberaubend. Mit jedem Meter wird es wärmer, endlose Serpentinen winden sich hinunter ins Tal, und jedes Mal, wenn ich anhalte um den Ausblick zu genießen kann ich ein weiteres Kleidungsstück ablegen. Unten im engen Flusstal komme ich in kurzen Hosen an und nutze die Gelegenheit für ein ausgiebiges Bad im Fluss. Nach 4 Tagen "Katzenwäsche" war dies auch bitter nötig.

Chalhuanca ist die erste Ortschaft nennenswerter Größe seit Puquio. Hier gibt es endlich wieder ein paar richtige Restaurants, die zumindest rudimentären hygienischen Ansprüchen genügen. Zu essen gibt es "Comida" und zu trinken "Refresco" oder lauwarmes Bier. Eine seltsame Sitte ist es hier, die Fußböden mit Petroleum aufzuwischen. Ich kann darum nicht sagen, ob meine leichten Kopfschmerzen vom lauwarmen "Cuzceña" oder den Petroleumdämpfen stammen.

Unten am Rio Pacacocha. Jacke und lange Hose können jetzt erst einmal in den Gepäcktaschen verschwinden

In dem engen, langgezogenen Tal kommt bereits um die Mittagszeit ein strammer Talwind auf. Außerdem bremst mich jetzt auch noch der Straßenzustand aus, denn direkt hinter Chalhuanca beginnt eine riesige Baustelle. Die gut 100 Kilometer von hier bis Abancay werden gerade eben erst geteert. Eine Logik in der Bauabfolge ist nicht zu erkennen. Fertige Teilstücke wechseln sich mit noch gar nicht angefangenen, gerade eben erst aufgepflügten, frisch geschotterten und zu Staub zerriebenen Teilabschnitten ab. An einer Stelle wird gerade eine Brücke über den mittlerweile recht breiten Pacacocha renoviert, der gesamte Verkehr (außer mir und ein paar Baustellenfahrzeugen ist's ja nicht viel) wird mitten durch eine eigens angelegte Furt geschleust. Beeindruckend ist der enorme Einsatz menschlicher Arbeitskraft. Es sind kaum Maschinen anzutreffen, selbst größere Erdbewegungen und gar Felsabtragungen werden von einem riesigen Heer an Bauarbeitern mit Pickeln und Schaufeln ausgeführt. Alle paar Meter stehen welche herum, ein paar führen die Aufsicht, andere kritzeln Notizen in irgendwelche Büchlein, und erstaunlich viele sind tatsächlich hart am arbeiten. Wie viele es wohl sein mögen? Keine Ahnung. Bis zum Abend bin ich jedenfalls fast heiser vom vielen Grüßen. Untergebracht sind sie teilweise in provisorischen Camps am Wegesrand, teilweise werden sie jeden Tag per LKW aus den mittlerweile nahem Abancay herangekarrt. Gerade eben wurde ich von einem muntern Grüppchen eingeladen, die Nacht in einem ihrer Camps zu verbringen, als von hinten ein strenges "Pasaporte, Documentos!" erklingt. Noch bevor ich mich umdrehen kann haben sich meine Gesprächspartner in alle Winde zerstreut. Hinter mir steht die Karikatur eines Highway-Cops. Eingezwängt in eine für seinen nicht unerheblichen Körperumfang viel zu enge Uniform, in alten, ausgetretenen Lederstiefeln, und um die Hüfte ein völlig überdimensioniertes Schießeisen, das auch der Elefantenjagd dienen könnte. Bei seinem jüngeren Kollegen verhält es sich genau umgekehrt, da ist die Uniform viel zu groß, für einen eigenen bleihaltigen Potenzverstärker dient er wohl noch nicht lange genug. Ich muss mir das lachen verkneifen. Trotz ihrer Aufmachung sind es zwei freundliche Kerle. Man wolle eigentlich nur meinen Namen notieren, damit man endlich weiß, mit wem man es zu tun hat, erfahre ich. Wie? Was? Ja klar, aber eigentlich hätte man mich erst morgen früh erwartet, weil doch die Straße gerade in so schlechtem Zustand sei. Jetzt bin ich vollends verwirrt. Ich erfahre, das man mich schon seit Nazca per Funk von einer Polizeiwache zur nächsten weiterreicht. Eine Sicherheitsmaßnahme aus der gar nicht so lange zurückliegenden Vergangenheit, als diese Strecke für ihre vielen Überfälle und Terrorattacken gefürchtet war, um Busse und wichtige Privatfahrzeuge abzusichern. Ich fühle mich geehrt. Ich werde zum Essen eingeladen, revanchiere mich mit einer Runde brühwarmem Bier und darf dann auf der Veranda ihrer Polizeistation mein Zelt aufschlagen.





Dienstag, 24. September

Rio Pacacocha - Rio Apurimac

Meine Gastgeber haben die ganze Nacht mit "Verkehrskontrollen" verbracht. Was dabei kontrolliert wurde und nach welchen Kriterien die "Verkehrssicherheit" eines dieser rostigen Seelenverkäufer festgestellt wird kann ich nicht sagen, man macht sich da so seine Gedanken. Fast entschuldigend erzählen mir die beiden Polizisten beim Frühstück, das man mit ihrem Hungerlohn auf anständige Weise kaum über die Runden kommen würde. Der Dicke zieht seinen Colt und macht das Patronenlager auf: gähnende Leere. Und der Sprit in ihrem alten Jeep würde gerade so für die Rückfahrt nach Abancay reichen, wenn sie nach 48 Stunden Nonstop-Dienst abgelöst würden.

Bis Abancay ist es jetzt nicht mehr weit. Gleich nach der Abzweigung nach Andahuaylas verlässt die Straße das Flusstal und windet sich in Serpentinen steil bergauf. Auf diesem holprigen Teilstück liegt knöcheltief feinster Staub, unmöglich zu fahren. Doch kaum steige ich ab um zu schieben werde ich von unzähligen kleinen, schwarzen Mücken angefallen. Hilfe! Bis ich die gut 500 Höhenmeter auf das Plateau von Abancay überwunden habe, haben sie mich fast blutleer gesaugt.

Irgendwo da vorne ist die Passhöhe.

Abancay ist ein nettes Städtchen in herrlicher Lage. Ich nutze die Gelegenheit für ein verspätetes 2. Frühstück und erfahre dabei, das die beiden anderen schon vor über 2 Stunden los gefahren wären? Wie? Was? Welche beiden anderen? Na, die 2 Gringos mit dem Fahrrad. Ob die denn nicht zu mir gehören würden? Na so was. Auf der gesamten Tour von Lima bis hierher sind mir noch keine anderen Radtouristen begegnet. Die beiden dürften unten im Tal aus Richtung Andahuaylas dazugestoßen sein, denn zuvor wurde mir von denen noch nie berichtet. 2 Stunden Vorsprung ist eine Menge Zeug, aber sie sollen mit unglaublich viel Gepäck unterwegs sein. Dann habe ich auf dem nun folgenden steilen Anstieg vielleicht einen leichten Vorteil. 500 Höhenmeter habe ich schon, bis zum Pass auf ca. 4400 Meter fehlen jetzt noch 2000 Meter. Zum Glück ist von hier bis Cuzco wieder geteert.

Blick auf das Massiv des Nevado Salcantay (6271m)

Eigentlich mündet der Rio Pacacocha ein paar Kilometer von Abancay entfernt in den Rio Apurimac, doch war es wohl nicht möglich, die Straße in den engen Tälern entlang zu führen. Stattdessen muss man den dazwischen liegenden Bergrücken überwinden. Geschlagene 7 Stunden winde ich mich Kurve um Kurve bergauf. Die Landschaft ist bereits beim Anstieg überwältigend, doch erst als man oben ankommt eröffnet sich ein phantastischer Rundumblick. Vor mir liegen die über 6000 Meter hohen schneebedeckten Gipfel des Nevado Salcantay und irgendwo da unten in einer zweieinhalb Kilometer tiefen Schlucht bahnt sich der Rio Apurimac seinen Weg.

Doch von dem ist noch lange nichts zu sehen. Eineinhalb Stunden sause ich bereits durch die unterschiedlichsten Landschaften bergab, auf einem weiten Plateau wähne ich mich bereits im Grunde des Tales, als in einem kleinen Dorf plötzlich 2 schwer bepackte Fahrräder vor mir stehen. Mit quietschenden Bremsen bringe ich mein Rad zum stehen, da erschallt aus einer nahegelegenen Hütte bereits ein "Grüatzi". Das man unter den Radlern jede Menge Deutsche antrifft ist nicht weiter verwunderlich. Immerhin gibt's davon ja 80 Millionen, Radurlaub ist gerade schick und zudem hat man ja mindestens 30 Tage Urlaub im Jahr. Aber wie schafft es die Handvoll Schweizer, die Zahl der Deutschen, Holländer, USAnier und Franzosen zusammengerechnet bei weitem in den Schatten zu stellen? Eigenartig.

Endlich: Da unten liegt der Rio Apurimac. Sieht von hier aus immer noch aus wie ein kleines Rinnsaal, ist aber ein großer, reißender Fluss.

Die beiden haben gerade an einem kleinen Laden ihre Vorräte aufgestockt. Auch ich nutze die Gelegenheit, dann wollen wir gemeinsam runter an den Apurimac. Es soll dort heiße Quellen in einer Art Ferienanlage geben. Am Ende des Plateaus kann man in der Abenddämmerung zum ersten Mal bis ganz hinunter ins enge Flusstal schauen. Er scheint zum greifen nah, aber es dauert noch einmal fast eine Stunde, steil bergab wohlgemerkt, bis wir in völliger Dunkelheit an der "Rezeption" der kleinen, nur spärlich beleuchteten Anlage ankommen.

Für wenig Geld können wir zu dritt einen großen Bungalow mieten. Dann stürzen wir uns in die unterschiedlich temperierten Schwimmbecken, wo sich auch gerade eine peruanische Schulklasse tummelt. Hungrig stürmen wir danach das Restaurant, erfahren aber, das es nichts zu essen gäbe. Gut, dann halt ein Bier. "No hay" Na gut, dann halt irgendwas. Limo, Kekse, Tee. "No hay nada" und außerdem wäre jetzt (um kurz nach 7) schon geschlossen und man habe keine Lust mehr die Küche aufzusperren. Na schön, probieren wir's halt um die Ecke an der "Bar". Und immerhin, wenn auch lustlos, so reicht man uns hier doch noch ein paar Kekse und 3 große Flaschen Bier. Wir machen gleich die erste auf und- wie sollte es auch anders sein - das Zeug ist brunzwarm. Igittigitt. Einen funktionierenden Kühlschrank gibt es, aber irgendwie hält man es hier - wie überall in Peru - nicht für nötig, das Bier da rein zu stellen. Angewidert trinken wir zu dritt eine Flasche aus. Bei der Gelegenheit fangen die beiden Verkäuferinen hinterm Tresen wieder mal an zu jammern, wie schlecht es ihnen gehen würde und das alle anderen so reich wären und sie so arm, und überhaupt, die Regierung würde überhaupt nichts für sie tun. Ob sie denn der Meinung seien, das die Regierung jemanden schicken müsste, der für sie das Bier in den Kühlschrank stelle, möchte ich wissen. "Wie? Was? Wieso?" Sie scheinen immer noch nichts zu kapieren und wollen weiter jammern, das die Regierung ihnen kein Geld gäbe und sie hätten kein Auto und ihr Haus wäre auch schon alt undsoweiter. Wir lassen die beiden anderen warmen Flaschen zurückgehen und kochen im Bungalow unser eigenes Süppchen.



Mittwoch, 25. September

Rio Apurimac - Cusco

Frühmorgens können wir endlich sehen, wo wir überhaupt stecken. Als es gestern Abend dunkel wurde fuhren wir noch durch grüne Mais- und Kartoffeläcker. Jetzt erblicken wir ringsum nur eine karge, trockene Felslandschaft. Auch stellen wir fest, das man von hier aus nicht direkt zur Brücke kann, sondern sich erst wieder etliche Kilometer nach oben zur Hauptstraße kämpfen muss. Wir haben Glück, ein LKW, der gerade eine weitere Schulklasse angekarrt hat, nimmt uns wieder mit zu der Stelle, wo wir gestern in der Dunkelheit die asphaltierte Hauptstraße verlassen haben. Die beiden Schweizer lassen sich noch ein Stück mitnehmen, ich fahre ab hier weiter, wie es sich gehört.

Die Brücke über den Apurimac. Hier unten herrscht eine Gluthitze, die einem beim folgenden steilen Anstieg den höhergelegenen, kühlen Regionen entgegenfiebern lässt.

Bereits jetzt am frühen Morgen ist es glühend heiß, und gleich nach der Brücke geht es wieder kräftig bergauf. Von 1800 Meter geht es jetzt wieder auf über 4000, also von der wüstenartigen Landschaft unten am Fluss durch die gemäßigte, landwirtschaftliche Zone bis hinauf zum Pass, der hier aber trotz der Höhe noch mit Eukalyptusplantagen bestanden ist.

Die ganze Bergauf-Strecke ist stark besiedelt, man ist einem pausenlosen "Gringo, Gringo"-Geschreie ausgeliefert. Nicht immer scheint es freundlich gemeint, Gringo ist ja eigentlich ein sehr abwertender Begriff. Ich möchte mal wissen, wer den Peruanern beigebracht hat, dass man das schreien muss, sobald man einen Ausländer am Horizont erspäht. Freilich, jeder kann sofort sehen, das ich kein Peruaner bin. Aber ich laufe doch daheim auch nicht durch die Fußgängerzone und schreie "Japaner, Japaner" oder "Türke, Türke" sobald ich jemanden sehe der seinem Äußeren nach nicht den Wäldern Germaniens entstammt. (Wäre wohl auch nicht sehr gesundheitsfördernd. Was gugst Du?) Hier stehen sie, ob jung ob alt, auf ihren Feldern oder am Straßenrand, deuten mit dem Finger auf einen und schreien einem ihre Beleidigungen entgegen. Selbst bei den ganz Kleinen, die noch nicht richtig sprechen können, reicht es für ein "Glingo, Glingo". Ab und an deute ich dann genauso zurück und schreie "Peruano, Peruano", bzw. "Peluano, Peluano".

Geschafft: Dort unten liegt die ehemalige Hauptstadt des Inka-Imperiums.

Nach dem Pass geht es nur ein kleines Stück bergab, dann erreicht man ein hoch gelegenes Tal. Habe ich heute früh noch geschwitzt so radle ich jetzt wieder dick angezogen, über mir brauen sich dunkle Gewitterwolken zusammen und ich muss einige Male bei - abgesehen von ihrer Gringomanie - freundlichen Familien am Wegesrand Zuflucht suchen. Nach deren Angaben soll es von hier bis Cuzco "puro plano" sein, stimmt natürlich nicht. Es geht noch einmal über einen größeren Hügel, und als ich mich bereits fast in Cuzco wähne geht es noch einmal kräftig bergauf.

Bei Sonnenuntergang rolle ich hinunter ins ehemalige Zentrum des Inka-Imperiums.









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