Mit dem Fahrrad von Peru nach Brasilien
Teil 1: Die Wüstenetappe
Von Lima nach Nazca
Freitag 13. September
Flug von Frankfurt über Madrid nach Lima.
Nichts ist nerviger als mitten in einer dieser stinkenden, fliegenden Blechdosen über die schönsten Landschaften zu düsen und nicht rausschauen zu können. Natürlich hat man meine frühzeitig geäußerten Sitzplatzwünsche bei Iberia wieder einmal nicht ernst genommen und so muss ich auch nach dem Zwischenstop in Madrid wieder in der Mitte des Flugzeugs in der Mitte der mittleren Sitzreihe Platz nehmen. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, das es Menschen gibt, die ausgerechnet dort sitzen wollen. Anscheinend aber doch, denn als der Flieger schon zur Startbahn rollt kommt eine ältere Peruanerin auf mich zu und fragt mit zitternder Stimme, ob ich nicht ihren Fensterplatz mit meinem Platz in der Mittelreihe tauschen möchte. Auch ihre Sitzplatzreservierung wurde ignoriert, und aufgrund ihrer panischen Flugangst würde sie lieber zu Fuß nach Peru gehen als am Fenster sitzen zu müssen. Ich lasse mich nicht lange bitten, geht doch der Flug über recht interessantes Gebiet. Deutschland, Frankreich, Spanien, Marokko, die Kapverdischen Inseln, Französisch Guyana, Brasilien und zuletzt über Peru.
Meine neue Sitznachbarin ist eine nette Dame aus Arequipa, gute Gelegenheit, mein völlig eingerostetes Spanisch wieder aus der Mottenkiste zu ziehen. Das braucht man spätestens dann, wenn man in Lima den geschützten Bereich des Flughafens verlässt und sich in die Meute der davor wartenden Taxifahrer stürzen muss. Leider muss ich mich heute einem dieser Herren anvertrauen. Mit dem Fahrrad abends im Berufsverkehr quer durch die Stadt muss nicht sein, schon gleich gar nicht, wenn man schon seit 24 Stunden auf den Beinen ist. Ich liefere mir zähe Verhandlungen mit den Fahrern, hier am Flughafen haben sie irrwitzige Preisvorstellungen. Nachdem ich dann endlich auf einen halbwegs vernünftigen Preis herunterhandeln konnte, muss ich während der ganzen Fahrt darauf bestehen, auch tatsächlich in das von mir angegebene Hotel gefahren zu werden und nicht in irgendeins, das eine bessere Provision zahlt.
Das Hotel El Patio in Nobelviertel Miraflores ist mit 30 Euro pro Nacht zwar nicht gerade billig, aber wunderschön, ruhig, sauber und mit familiärer Atmosphäre. Ich kann es nur weiter empfehlen. Nach einem kurzen Bummel durchs Viertel falle ich müde ins Bett.
Samstag, 14. September
Lima
Es ist kühl und grau in grau. Das typische Wetter in Lima um diese Jahreszeit. Ein paar Straßenblocks vom Zentrum Miraflores entfernt fällt das Land in einer steilen Klippe in den Pazifik ab. Dort treffen sich am Wochenende die Gleitschirmflieger, fast alle der 80 bis 90 Piloten, die es in Peru gibt. Bei der Flugschule kann ich mir für eine Hand voll Dollars einen uralten Schirm ausleihen, der Helm hat auch schon bessere Zeiten gesehen und auf Protektoren oder einen Rettungsschirm wird gleich völlig verzichtet. Ist auch gar nicht nötig, denn bei absolut laminarem Seewind kann man sich stundenlang in der Luft halten, ohne die winzigste Turbulenz. Wem die mehrere Kilometer lange Klippe zu langweilig wird kann an den Hochhäusern, die direkt dahinter stehen, weiter aufdrehen. Besonders beliebt ist das nagelneue Marriot-Hotel mit seiner glatten Glasfassade. Auch ich riskiere dort einen Blick von außen in die obersten Stockwerke, so wie die Einheimischen mit der Flügelspitze an den Scheiben entlang zu schrammen ist mir dann aber doch zu riskant. Abends gehen die Lichter an, ein faszinierendes Gefühl, in der Dunkelheit lautlos über der Millionenstadt zu schweben. Nur, wo war doch gleich der Landeplatz???
Sonntag, 15. September
Lima
Ich verbringe noch einen Tag mit den Fliegern in Miraflores. Schon seit längerem verfolge ich im Internet die Reise von Kerstin und Bernd , die vor einem dreiviertel Jahr in Kanada gestartet sind. Rein zufällig haben sie gerade Lima erreicht, gute Gelegenheit, sich am Abend auf ein paar Bier zu treffen und über ihre bisherige Reise zu plaudern. Ich selbst habe ja noch nicht so viel zu erzählen, es soll ja erst morgen losgehen.
Montag, 16. September
Lima - KM90
Heute geht es endlich los mit der Fahrradtour. Alle notwendigen Besorgungen konnte ich gestern Nachmittag noch erledigen, jetzt fehlt mir nur noch eine Gaspatrone für meinen Kocher. Eine seltsame Sitte ist, dass die meisten Läden in Lima erst gegen 11 Uhr aufmachen, warum konnte ich leider nicht herausfinden. In den ersten 5 Sport- und Campingläden verkauft man zwar Gaskocher und Gaslaternen, logischerweise aber keine Gaspatronen. Erst mit Hilfe eines kundigen Taxifahrers und nach einer kurzen Taxifahrt werde ich fündig und kann gegen Mittag endlich losradeln. Flugticket, ein bisschen Bares und noch ein paar Unterlagen kann ich im Hotelsafe zurücklassen, denn auf dem Rückweg komme ich hier ja noch mal vorbei.
Die Fahrt aus Lima heraus gestaltet sich einfacher als befürchtet. Zunächst mogle ich mich auf diversen Nebenstraßen bis in die äußeren Vororte, dann geht's auf der vierspurigen "Panamericana Sur" weiter. Das Verkehrsaufkommen hält sich erfreulicherweise in Grenzen, die gefürchteten LKW's weichen wenn möglich auf die linke Fahrspur aus, und zur Not bleibt ja immer noch der etwas holprige Seitenstreifen. Landschaftlich ist bisher nichts interessantes zu berichten. Die ersten 50 Kilometer geht eine Wellblechsiedlung in die nächste über, alles liegt voller Müll, Gegenwind, Sprühregen und grauer Himmel tun ein übriges. Richtige Urlaubsstimmung mag da noch nicht aufkommen. Zum Glück werde ich über 2 Stunden lang von zwei jungen Peruanern begleitet, die dann allerdings wieder umkehren und nach Lima zurückradeln müssen.
Erst am späten Nachmittag erreiche ich ab und an unbesiedeltes Gelände. Sand- und Steinwüste wechselt sich mit grünen Flussoasen ab, ein paar mal geht es direkt am Pazifik entlang.
Abends weht immer noch ein kalter Wind mit gelegentlichen Regenfällen. Zur Feier des ersten Tages auf dem Rad gönne ich mir für 5 Euro eine Unterkunft.
Dienstag, 17. September
KM90 - Paracas
Früh ist es noch grau, mich erwischt noch ein letzter Regenschauer, dann wird es langsam besser. Auch die Landschaft wird jetzt interessanter. Wo weniger Leute wohnen liegt auch weniger Müll, die kahlen Gebirgszüge der peruanischen Küstenwüste sind ein beeindruckender Anblick. An mehreren Stellen führt die Straße auf einem Hochplateau nur wenige Meter von der Abbruchkante ins Meer entlang. Eine Kante soll 50-100 Meter hoch und über 70 Kilometer lang sein, ohne Unterbrechung. Ein Paradies für Gleitschirmflieger. Schade das die dazu nötige Ausrüstung nicht auf ein Fahrrad passt. Oder vielleicht doch?
Zwischendurch geht es mal für etliche Kilometer direkt am Strand weiter, ich nutze die Gelegenheit für einen Sprung in die kühlen Fluten. Und die sind wirklich sehr kühl, der Humboldtstrom lässt grüßen. Die Bewohner des Küstenstreifens sind freundlich und aufgeschlossen, innerorts kommt man bei jedem Stopp schnell ins Gespräch. Wenn man so in die Gesichter blickt sieht man deutlich den starken spanischen Einfluss. Ganz anders als die stark indianisch geprägten Peruaner, die nur ein paar Kilometer im Hinterland in den Höhen der Anden wohnen. Auch die nie enden wollenden Zurufe sind regional ausgeprägt. An der Küste wird mir mit "Mister, Mister" hinterhergerufen, wer es ganz höflich meint schreit auch noch - unabhängig von der Tageszeit - "Good morning, good morning". Im Hochland favorisiert man ein lautstarkes "Gringo, Gringo" und im Amazonas-Tiefland, nahe der brasilianischen Grenze schreit man "Mauricio, Mauricio". Mauricio ist für die Peruaner wohl der typische Vorname eines Brasilianers (=Ausländers), obwohl ich ehrlich gesagt keinen einzigen kenne der so heißt.
Trockene Wüste wechselt sich mit breiten, grünen Flussoasen ab. Am späten Nachmittag, in der Nähe der Halbinsel Paracas mit seinen beeindruckenden Seehundkolonien, entfernt sich die Straße von der Küste. Und kaum ist man von der Küste weg verschwinden auch das Einheitsgrau des Küstennebels, es herrscht strahlend blauer Himmel. Am Abend schiebe ich mein Rad ein paar hundert Meter über einen kleinen Hügel und zelte in absoluter Ruhe inmitten einer endlos scheinenden Sand- und Kieswüste.
Mittwoch, 18. September
Paracas - Ica
Bis nach Ica geht es stundenlang schnurgerade durch die Wüste. Die Sonne knallt vom Himmel, vom grauen, tristen Wetter der letzten Tage ist hier im Innenland nichts mehr zu spüren. In der Nähe von Ica türmen sich riesige Sanddünen auf. Mitten zwischen den Dünen gibt es einen kleinen See mit angenehm warmen Wasser, Restaurants und Sandboardverleih. Ich gönne mir eine Wanderung durch die endlos scheinenden Sanddünen.
Am Nachmittag frischt der Südostwind stark auf, ich komme kaum noch voran. Bereits gegen 4 Uhr gebe ich auf und versuche in einer engen Schlucht dem scharfen Wind zu entkommen. Das Panorama vom Hügel ein paar Meter oberhalb des Zeltes ist überwältigend. Nur den Sand, den es mir hier in alle Ritzen weht, werde ich noch Monate später aus meiner Ausrüstung schütteln.
Donnerstag, 19. September
Ica - Nazca
Ich starte früh im ersten Dämmerlicht, um die kühlen Morgenstunden auszunutzen. Vor allem aber die Windstille, denn die Ebene vor Nazca ist berüchtigt für ihre Nachmittagswinde, gestern habe ich diese Lektion ja bereits gelernt. Es geht zunächst noch ein Stück bergauf, dann verläuft die Straße schnurgerade durch eine Hochebene. Zwischendurch kreuzte ich noch mehrere tiefe Flusstäler, dann erkenne ich am Horizont die ersten Kleinflugzeuge, die über der scheinbar leeren Wüste in wirren Kurven fliegen: Ich nähere mich der Nazca-Ebene mit ihren berühmten Scharrbildern. Ein letzter Anstieg, ein altes rostiges Schild kündigt an, das man hier die Nazca-Linien bestaunen könne, aber außer Sand und Steine ist nichts zu sehen. Die Flieger haben mittlerweile ihren Betrieb eingestellt, offenbar pfeift auch denen der Gegenwind zu arg. Zum Glück gibt es direkt an der Panamericana einen Aussichtsturm, der von den findigen Touristenguides in Nazca natürlich gerne verschwiegen wird. Von dort oben kann man immerhin 3 kleinere Figuren sehen, die sich vom Boden aus nur erahnen lassen.
Die verbleibenden 20 Kilometer bis Nazca ziehen sich wie Kaugummi, der Gegenwind zwingt einen in die kleineren Gänge. In Nazca selbst gibt es wenig zu sehen, außer mir irren noch ein paar andere Touristen durch die Gegend, aufdringliche Tourguides wollen Hotels, Flüge über die Nazcalinien oder Ausflüge zu den umliegenden Bergen und Ruinen an den Mann bringen. Ich stocke meine Vorräte auf und fahre noch 15 km weiter. Den Flug über die Linien hebe ich mir für den Rückweg in ein paar Wochen auf. Nach Nazca verlasse ich die Panamericana, ab hier geht es hinauf in die Anden.
<-- weiter mit Teil 2
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