Transamazonica

Teil 3: Vom Rio Xingu zum Rio Tapajos

Regenzeit

 

Von Altamira nach Itaituba, 500 km

28. Oktober

English Version Nachdem die letzten Hütten Altamiras hinter mir liegen geht es hügelig weiter, aber nicht mehr ganz so steil wie in den letzten Tagen. Und was ich schon gar nicht mehr für möglich gehalten habe: ab und zu kommen sogar mal ein paar richtig flache Teilstücke. Die Sonne scheint und ich komme gut voran.

Altersschwache Holzbrücke

Gegen meinen "Sonnenbrand" habe ich mir ein langärmliges Hemd in Übergröße zugelegt. So kann ich den Ärmel bis über die Handrücken ziehen, aber vorne zwecks besserer Kühlung alle Knöpfe offen lassen. Schaut zwar ziemlich bescheuert aus, wie es so vor sich hinflattert, aber es erfüllt seinen Zweck.

Viele Leute sehen mich ohnehin nicht mehr, denn die Verkehrsdichte hat deutlich nachgelassen. Dörfer und Städtchen gibt es aber immer noch in regelmäßigen Abständen.

Diese Siedlungen sind wirklich ein Kapitel für sich: Ehedem auf dem Reisbrett für zig-tausend Siedler entworfen, wurden sie zunächst einmal mit allem was dazugehört ausgestattet. Gekommen bzw. geblieben sind aber nur wenige, und so rottet jetzt vieles dahin.

Eine Ortschaft, ich glaube es war "Novo Brasil", ist besonders lustig: Die Transamazonica weitet sich dort auf mehrere parallel verlaufende Spuren aus. Dazwischen gibt es Alleebäume, große Kreisverkehre, Straßenlaternen, ehemalige Blumenrabatte und was so alles dazugehört. Alles wäre eigentlich recht pompös, nur will es irgendwie nicht zu dem roten Dreck passen, aus dem die Straßen natürlich auch hier im Ort bestehen, und die Handvoll Hütten, die den Straßenrand säumen, wirken auch irgendwie recht verloren.

Ein Riesenradau herrscht trotzdem. Brasilianer lieben Lärm. Nicht genug mit den unzähligen kläffenden Hunden und krähenden Hähnen, die es praktisch vor jeder Hütte gibt. Die Ortschaften scheinen sich gegenseitig mit ihren zentralen Beschallungsanlagen übertreffen zu wollen. An Laternen, Hauswänden oder Mauervorsprüngen sind zahlreiche krächzende Lautsprecher angebracht, aus denen von früh bis spät die gleiche Musik düdelt. Unterbrochen wird das ganze immer wieder von aufdringlichen Werbeslogans für die ansässigen Wirtschaftsunternehmen, gelegentlich kommen auch die örtlichen Nachrichten, mit Durchsagen wie "Achtung, Achtung... krächz...pfeif... pieeeeeeep.... der Bus nach Altamira fährt voraussichtlich irgendwann im Laufe des Nachmittags durch.. krächz... schepper.... heute Vormittag ist der Hund von Dona Maria über die Hauptstraße gelaufen.... krächz... pieeeeep.... Achtung, Achtung: bei Tante Emma gibt's Bananen für 20 Centavos pro Kilo... krächz... Latest News: der Papagei von Sinha Vitoria ist heute morgen tot von der Stange gefallen.... fiiiiiepppp.....". Dann kommt wieder die Lieblingsmusik des örtlichen DJs, bevor das ganze von vorne beginnt.

Läden, die sich keinen Auftritt in den lokalen Nachrichten leisten können, platzieren ihren eigenen Marktschreier auf dem Bürgersteig (sofern es einen Bürgersteig gibt), der über sein Megafon oder über Lautsprecheranlagen jedem arglosen Passanten seine Sonderangebote hinterher schreit. In Ortschaften, die mehr als nur die Hauptstraße haben, kann man optional noch Autos mit Flüstertüten auf dem Dach zirkulieren lassen, die von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zur geschmackvollen Abrundung des Klangbildes beitragen.

Staub

Einen Vorteil hat das ganze aber doch für den hungrigen und durstigen Radfahrer: Man kann meilenweit vorher hören, wenn man sich einer Ortschaft nähert...

Seit ich Altamira verlassen habe hat der Verkehr deutlich nachgelassen. Manchmal habe ich die Transamazônica stundenlang für mich alleine. Voraus liegen jetzt nur noch zwei richtige Städte: Itaituba und Santarem. Letztere liegt zudem noch auf einer 300 km langen Seitenstraße, an den Ufern des Amazonas und des Rio Tapajós. Die Flüsse sind nach wie vor die wirklichen Hauptverkehrsweg durch diese Gegend. Der Amazonas ist bis weit ins Landesinnere auch für größere Ozeandampfer befahrbar, und auch der Rio Tapajós ist bis zu seinen ersten Stromschnellen oberhalb von Itaituba problemlos schiffbar. Der Warenverkehr für diese beiden Städte erfolgt daher fast ausschließlich auf dem Wasserweg, und auf der Transamazonica verkehrt fast nur noch der lokale Verkehr.

Unter den noch verbliebenen LKW-Fahrern bin ich mittlerweile bekannt wie ein bunter Hund. Viele halten sogar kurz an und fragen, ob ich irgendwelche Hilfe brauchen würde oder ob sie mich ein Stück mitnehmen sollen. Lustigerweise fragen das sogar die, die in die entgegengesetzte Richtung fahren...

Oft wird mir ganz stolz berichtet, wann sie wo schon einmal an mir vorbeigefahren wären. Nur sind sie dann gelegentlich beleidigt, wenn ich mich daran nicht erinnern kann. "Was, hast du mich denn nicht gesehen? Ich hab dir doch vor einer Woche aus dem Führerhaus zugewunken..."

Meinen Namen kann sich keiner merken, aber man tituliert mich ohnehin viel lieber als "o Louco" oder "o Doido"...

An diesem Tag schaffe ich über 100 Kilometer, und wie so oft lasse ich mich am Abend in eine kleine Farm rollen. Dieses Mal erwische ich eine ganz besonders lustige. Sie wird gemeinschaftlich von 3 Familien betrieben. In einer Ecke steht, schon leicht überwuchert, ein alter VW Käfer, für dessen Unterhalt die Barschaften zur Zeit nicht mehr ausreichen. In der Mitte zwischen den 3 Häusern gibt es einen großen Feuerplatz, um den sich nach dem Abendessen alle versammeln. Bis weit nach Mitternacht werde ich bei reichlich Bier (irgendwie sogar eisgekühlt, obwohl es nirgends Strom gibt...) mit neugierigen Fragen traktiert, bis schließlich auch meine Gastgeber müde werden, denn normalerweise geht man hier recht früh zu Bett.

Als ich schließlich in mein Zelt schwanke finde ich zu allem Überfluss auch noch eine große Spinne auf meinem Kopfkissen. Ich hätte den Reisverschluss vielleicht doch ordentlich zumachen sollen...

29. Oktober

Am nächsten Morgen ist es wieder einmal sehr sonnig. Ich hatte bisher Glück, es hat nur sehr wenig geregnet, mal abgesehen von dem Regentag in Tucurui nur Nachts oder nur für ein paar Minuten.

Die Straßenverhältnisse sind in diesem Teilstück hundsmiserabel. Ich bin so sehr mit der Straße beschäftigt, dass ich überhaupt nicht bemerke, wie langsam immer dunklere Wolken am Himmel aufziehen.

Matsch

Die bemerke ich erst, als die ersten Regentropfen herunterfallen. Hinter mir höre ich ein lautes Tosen. Fünf Sekunden später bin ich bis auf die Knochen durchnässt, und nach weiteren fünf Sekunden ist aus dem feinen Straßenstaub flüssiger Schlamm geworden.

Habe ich mich eben noch über den Staub und die Schlaglöcher aufgeregt? Ich wollte, ich hätte sie wieder, denn jetzt geht überhaupt nichts mehr. Nur 500 Meter weiter vorne sehe ich einen kleinen Bauernhof, aber obwohl es sogar leicht bergab geht habe ich keine Chance. Die Reifen sammeln innerhalb weniger Meter derart viel Schlamm auf, dass sie sich nicht mehr weiterdrehen lassen. Auch tragen geht nicht, mit wasweißich wie vielen Kilos Schlamm die da zwischen Reifen und Rahmen hängen. Da hilft nichts weiter als das Fahrrad am Straßenrand stehen zu lassen und zu Fuß zur trockenen Hütte zu laufen. Oder besser gesagt barfuss zu schlittern, denn auf dem glitschigen Schlamm geht man wie auf Eis.

Ausgerechnet jetzt donnert auch noch mit Karacho ein LKW vorbei, der mich von oben bis unten voll Schlamm spritzt. Aber es ist so rutschig, das auch er nicht mehr weit kommt. Am nächsten Hügel reicht der Schwung nicht mehr und er rutscht rückwärts wieder nach unten, bis er irgendwann quer zur Fahrbahn zum Stillstand kommt. Der Fahrer versucht erst gar nicht, sich aus seiner misslichen Lage zu befreien, sondern er schaltet den Motor ab und wartet auf besseres Wetter.

Der Farmbesitzer winkt mich schon aus weiter Entfernung zu sich hinein, ich bekomme ein Handtuch zum abtrocknen und für die nächsten 3 Stunden sitze ich gemütlich im Schaukelstuhl auf seiner Veranda. Der Regen trommelt wie blöd oben aufs Blechdach, man versteht kaum sein eigenes Wort, und ringsum steigen dampfende Nebelschwaden aus den durchnässten Wäldern.

Am Nachmittag, als es endlich aufhört zu regnen, versuche ich weiterzukommen. Aber es erweist sich als fast unmöglich. Alle 50 bis 100 Meter muss ich anhalten und zig Tonnen Lehm vom Rad kratzen. Das Zeug fühlt sich an wie zäher Kuchenteig und klebt einfach überall fest. Wenn ich die Räder endlich wieder freigelegt habe kann ich für ein paar Sekunden weiterschieben, dann geht die Prozedur von vorne los. Warum ich überhaupt weitermache? Weil 3 oder 4 Kilometer weiter vorne ein Wirtshaus kommen soll, und das will ich unbedingt noch erreichen.

Nach eineinhalb Stunden bin ich endlich dort. Endlich ein kühles Bier, um Dreck und Frustration runterzuspülen. Die Bar ist voll besetzt, vor der Tür stehen ein altes Auto und mehrere Pferde. Die Stimmung ist ausgelassen, offenbar freut man sich über das Regenwetter, weil man da zuhause einen guten Vorwand hat, etwas länger auszubleiben... Einer der Gäste ist übrigens ein Gaucho, also ein Brasilianer aus dem südlichen Zipfel des Landes, wenngleich er schon seit über 20 Jahren hier wohnt. Seine Familie ist deutschstämmig, und so sind die anderen nicht wenig verblüfft, als wir plötzlich auf deutsch weiterreden. Verblüfft deshalb, weil viele offenbar glauben, deutsch sei dieser komische Akzent, den die oft deutschstämmigen Gauchos sprechen, und nicht etwa eine völlig andere Sprache. Aus dem gleichen Grund werde ich auch oft gefragt, ob ich denn nun aus Rio Grande do Sul, Paraná oder Santa Catarina käme, wenn ich sage, ich sei Deutscher...

Selbstverständlich werde ich dann zum Übernachten auf seine Farm eingeladen. Bis dorthin sind es noch mal 2 anstrengende Kilometer, aber meine Bemühungen werden mit echtem, selbstgemachtem Brot, Würstchen und Sauerkraut belohnt.

30. Oktober

Regen

Es hat aufgehört zu regnen, aber es ist noch immer stark bewölkt. Nachdem ich den angetrockneten Lehm mit einem Schraubenzieher vom Fahrrad gemeißelt habe geht's los.

Sonderlich stark ist die Straße noch nicht abgetrocknet. Manchmal kann ich ein Stück fahren, dann kommen wieder Ecken, wo man einfach stecken bleibt.

Dieses Spielchen geht den ganzen Tag so weiter. Fahren, schieben, putzen, fahren, schieben, putzen.... Die Wolken scheinen nur auf mich zu warten. Kaum ist es einigermaßen angetrocknet, schon fängt es wieder an zu regnen. Zwischendurch probiere ich öfters mal aus, ob ich das Rad nicht tragen kann, bevor es vor lauter Dreck zu schwer wird. Dummerweise sind die unpassierbaren Stellen meistens auch ziemlich glitschig, so dass ich meine Versuche nach mehreren schmerzhaften blauen Flecken einstelle.

Bei allzu heftigen Schauern suche ich meistens Zuflucht in einer Hütte, aber sobald das Wasser wieder einigermaßen abgelaufen ist, versuche ich weiterzukommen. Bis zum Abend schaffe ich 40 Kilometer.

Kurz vor Einbruch der Dämmerung ist nirgends eine Menschenseele zu blicken. Aber ich entdecke rechts einen alten, ziemlich zugewucherten Trampelpfad, der tief in den Wald führt. Ich folge ihm ein paar hundert Meter, bis ich an eine kleine Lichtung komme, auf der mehrere alte Kakaobäume stehen. Ein herrlicher Platz zum Zelten.

31. Oktober

"Saude" prosten mir zum tausendsten Mal an diesem Tag die beiden Trucker zu. Seit Stunden sitzen wir hier in dieser schäbigen Bar an der Transamazonica fest. Der strömende Regen macht ein Weiterkommen schier unmöglich. Seit den frühen Morgenstunden schüttet es wie aus Kübeln und die Piste besteht nur noch aus unpassierbarem Matsch und Schlamm. Dabei bin ich noch heilfroh, es bis hierher geschafft zu haben. Eineinhalb Stunden habe ich gebraucht, um mein lehmverschmiertes Fahrrad die letzten 3 Kilometer bis hierher zu zerren. 2 Lkws und ein Pickup waren schon vor mir hier, auch für sie gab es kein Entkommen vor der tropischen Schlechtwetterfront. Zusammen vertreiben wir uns die Zeit so gut es geht, der Wirt freut sich über soviel unerwarteten Umsatz.

Wirtshaus an der Transamazonica

Dieses Pisswetter hat mir einen ordentlichen Strich durch die durch die Rechnung gemacht. Nach meinen Hochrechnungen hätte ich heute eigentlich schon in Itaituba sein wollen, aber jetzt brauche ich noch mindestens 2 Tage.

Außerdem weiß ich immer noch nicht, ob und wie es nach Itaituba weitergeht. Alle drei Fahrer und auch die übrigen Gäste behaupten steif und fest, das in Itaituba Endstation wäre. Danach sei die Straße schon seit Jahrzehnten unpassierbar und zugewuchert. Das wäre natürlich fatal, denn meine einzige Alternative wäre dann, von Itaituba bis Porto Velho entweder zu fliegen oder über Rio Tapajós, Amazonas und Madeira mit dem Boot zu fahren, eine ziemlich zeitaufwendige Angelegenheit.

Ich höre zwar schon die ganze Zeit derartige Geschichten, nach dem Motto "bis hierher war's gut, aber nach dem nächsten Hügel wird die Straße viel schlechter und außerdem wohnen im Nachbardorf nur Räuber und Diebe". Bisher habe ich nie viel drauf gegeben, denn seit fast 1000 Kilometern schwankt die Qualität der Piste fast kilometerweise zwischen "nicht übel" und "grottenschlecht" hin und her.

Aber so langsam mache ich mir wirklich Sorgen. Bisher habe ich noch niemanden getroffen, der mir bestätigen konnte, dass die Straße noch existiert, geschweige denn jemanden der dort schon mal gefahren ist. So überzeugt, wie die 3 Fahrer sich geben kann ich mir mein Vorhaben womöglich tatsächlich abschminken.

Einer der Fahrer war übrigens schon dabei, als die Straße vor einem Vierteljahrhundert gebaut worden ist, und er kann mir erklären, warum es immer so steil wie möglich auf den höchsten verfügbaren Punkt geht: Wenn man die Straße nämlich schräg am Hang gebaut hätte, wäre sie schon vom nächsten ordentlichen Regenguss davongespült worden, es sei denn man hätte aufwändige Gräben und Drainagen angelegt. Und unten im Tal entlang ging auch nicht, weil man dort unzählige Brücken und Dämme gebraucht hätte und zu jeder Regenzeit wegen Hochwasser nicht weitergekommen wäre. Das kommt man jetzt zwar auch nicht, aber ursprünglich war ja mal geplant, die Strecke auch noch zu asphaltieren. Ich weiß nicht, ob die Story so stimmt, aber irgendwie klingt's logisch und für den gemeinen Radfahrer wenig erfreulich...

Matschpiste

Am Nachmittag geht's doch noch einigermaßen weiter, und ich liefere mir ein Rennen mit den beiden LKWs: Auf flachen Stücken preschen sie immer wieder an mir vorbei, dafür bleiben sie an den glitschigen Steigungen immer wieder liegen, wo ich zu Fuß hoch kann.

In stockdunkler Nacht erreiche ich Rurópolis, eine kleine Ortschaft an der Abzweigung nach Santarem. Die Lkws sind auch erst vor einer knappen Stunde eingetroffen, und jetzt wundern sich alle, wie ich es denn bis hierher geschafft hätte... irgendwie wundere ich mich selbst auch.

Im Laufe des Abends darf ich meine Story 20 bis 30 mal zum besten geben, und immer wieder werde ich auf eine Engländerin hingewiesen, die hier vor über 20 Jahren durchgeradelt sei. Sie ist zwar eigentlich Neuseeländerin, aber ich nehme an, man meint damit Luice Southerland, deren Buch ich vor Jahren mal durchgeblättert habe...

1. November

Knöcheltiefer Matsch

Noch ein verregneter Tag, es gibt nicht viel neues zu berichten. Es nieselt den ganzen Tag vor sich hin, wenn es nicht gerade schüttet. Graues Herbstwetter, nur halt 20 Grad wärmer als bei uns daheim.

Es geht besser voran als in den vergangenen Tagen. Entweder ist das hier eine andere Matschsorte oder die Regenmenge passt irgendwie gerade so, keine Ahnung. Jedenfalls kann ich oft im Nieselregen fahren, barfuss und "oben ohne". Ich fahre immer in den kleinen Bächen und Rinnsalen die sich auf der Straße gebildet haben, so dass der Dreck immer gleich wieder abgewaschen wird. Wenn der Regen heftiger wird muss ich aber immer wieder anhalten, und bis zum Mittag habe ich alle meine Bücher ausgelesen: "Homo Faber" von Max Frisch und, ironischerweise "Vidas secas" von Graciliano Ramos, beides Bücher, an denen ich normalerweise ein halbes Jahr lang lesen würde...

Die Nacht verbringe ich wieder einmal auf einem Bauernhof. Der Hausherr hat ungefähr mein Alter, aber es turnen schon 6 Kinder um ihn herum. Man erzählt mir ungewöhnlich offen von den Sorgen und Mühsalen, die man so als Siedler an der Transamazonica hat. Mein schöner romantischer Zeltplatz von vorgestern, unter den verwilderten Kakaobäumen? Die sind wahrscheinlich, wie die Pflanzungen vieler anderer, einem Pilz zum Opfer gefallen, der hier seit ein paar Jahren wütet. Export von eventuell anfallenden Überschüssen? Nur die wenigsten Produkte würden überhaupt den Transport auf der Holperpiste überstehen, und selbst die müsste man für wenig Geld an einen Großhändler verkaufen, der das Zeug zum Weiterverkauf zig tausend Kilometer weit bis Rio oder Sao Paulo schaffen müsste.

Ja, und wenn jetzt bald die Regenzeit losgeht (Nein, der leichte Landregen in den letzten Tagen habe damit noch nichts zu tun), dann geht für die nächsten 3 bis 4 Monate gar nichts mehr. Ihm selbst würde das ja nicht so viel ausmachen, aber wenn mal seine Frau oder eines der Kinder zum Arzt müssten, na dann gute Nacht.

Im Laufe des Abends kommen wir irgendwie auch auf das neue Bildungsprogramm für Erwachsene zu sprechen, das die Regierung hier kürzlich gestartet hat. Er fühlt sich ein wenig indigniert, als mir seine Frau erzählt, das er daran teilnimmt. Er war selbst eines von 10 Kindern aus einer armen Familie und hatte niemals die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Er kann weder lesen noch schreiben noch rechnen. Erst jetzt versucht er nachzuholen, was ihm in seiner Kindheit vorenthalten war.

Nachts höre ich von meinem Nachtlager aus, wie ihm seine Frau Schreibunterricht erteilt. Dann trommelt wieder der Regen aufs Zelt.

2. November

Blauer Himmel!!! Endlich hat es aufgehört zu regnen.

Nach einer herzlichen Verabschiedung begebe ich mich gleich wieder auf die Piste. Es ist immer noch ziemlich matschig, aber innerhalb kürzester Zeit hat die Sonne den Lehm an der Oberfläche soweit getrocknet, das er sich nicht mehr an die Reifen hängen will.

Gegen Mittag wage ich es dann sogar, das Fahrrad gründlich zu entschlammen und zu waschen. Wie leicht es sich doch plötzlich fährt wenn die Räder nicht mehr im Schlamm feststecken, das Gefährt nur noch halb soviel wiegt und zumindest die hintere Schaltung wieder funktioniert...

Endlich kann ich die Landschaft wieder so richtig genießen. Ich lasse keine Gelegenheit zum baden aus.

Dabei wundere ich mich warum manche Flüsse richtig kaltes Wasser haben. Ich meine, es hat doch hier seit Jahrmillionen 25 bis 35 Grad, der Regen fällt mit genau der gleichen Temperatur herunter und alles andere ist ja auch brühwarm. Wo also kühlt sich das Wasser derart ab? Ich stehe vor bzw. sitze in einem Rätsel.

Ich habe keine 30 Kilometer mehr vor mir, es ist noch früh am Nachmittag, und die Straße wird von Stunde zu Stunde besser. Ich habe also keinen Grund zur Eile.

Dachte ich mir zumindest, bis ich die dunklen Gewitterwolken bemerke, die sich unauffällig hinter mir aufgetürmt haben. Wenn es jetzt wieder anfängt zu regnen wird's heut Abend nichts mit Bier und Brotzeit in Itaituba. Also nichts wie aufs Fahrrad schwingen und lossprinten, denn jeder Kilometer, den ich jetzt noch schaffe, erspart mir viel Zeit und Mühe, wenn es wieder feucht wird.

Zwei Stunden lang verfolgen mich die Regenwolken über Berg und Tal. Die ersten Tropfen erwischen mich schon, nur knapp hinter mir kommt wie ein Vorhang der Regen heruntergerauscht. Dann stehe ich auf dem letzten Hügel vor Itaituba, mit einem herrlichen Blick hinunter ins Tal des Tapajós.

Zum ersten mal werde ich für eine Fährüberfahrt zur Kasse gebeten. Umgerechnet 50 Pfennig muss ich berappen, und man braucht geschlagene 10 Minuten, um den Quittungsblock für Fahrräder zu finden, ordnungsgemäß auszufüllen und abzustempeln. Lang lebe die Bürokratie.

Fähre über der Rio Tapajos

Der Regen zieht dann übrigens doch noch an mir vorbei. Die Überfahrt dauert über eine halbe Stunde, und auf der anderen Seite landet die Fähre mitten im Zentrum von Itaituba. Eine richtige Stadt, sogar mit geteerten Straßen!! Das erste, was ich tue, ist eine Runde freihändig um den nächsten Häuserblock zu drehen. Wenn mich jetzt einer gesehen hat hält er mich wahrscheinlich für völlig bescheuert.

Dummerweise komme ich genau an einem Feiertag an, heute ist der "Dia dos mortos", also so eine Art Totensonntag, und so schaut die Stadt auch aus. Aber am Abend kommen die Leute wieder aus ihren Löchern, und unten am Strand wird sogar eine Party geschmissen

Ins Hotel finde ich aber noch vor Sonnenaufgang zurück...

Als nächstes folgen jetzt 400 km entlang des Rio Tapajós. An irgendeiner Theke habe ich einen Jeepfahrer aufgetan, der "regelmäßig" bis nach Jacareacanga fährt, was nach seiner Aussage bis auf eine kleine Hüttensiedlung die einzige Stadt auf der gesamten Strecke sein soll. In meiner Landkarte sind zwar zahlreiche Ortschaften eingezeichnet, aber ich bin ja schon froh zu hören, das es die Straße überhaupt noch geben soll. Ich werde also morgen mal mein Glück versuchen.

Bis demnächst

Micha



<-- weiter mit Teil 4


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