Transamazonica

Teil 1: Belem bis Rio Tocantins

Transamazonica

Von Belem nach Tucuruí am Rio Tocantins, 400 Kilometer

English Version Was ist das hier nur für ein widerlicher Gestank?? Die MD11 befindet sich in der Morgendämmerung im Endanflug auf den internationalen Flughafen von Rio de Janeiro. Der faulige Geruch aus den Kloaken der Favelas rund um den Flughafen dringt durch die Belüftung bis ins Flugzeuginnere. Im Gepäckraum befindet sich gut verpackt mein Fahrrad, doch es werden noch einige Stunden vergehen, bis ich es aus seinem Karton befreien kann. Mein Weiterflug nach Belém, im Norden Brasiliens, geht erst heute Abend.

Also nichts wie raus aus dem Flughafen und rein in den nächsten Bus ans andere Ende der Stadt, dorthin, wo die "Cidade Maravilhosa", die wunderbare Stadt, ihrem Ruf wirklich gerecht wird, zu den Stränden von Copacabana und Ipanema.

Trübes wetter an der Copacabana

Ich fühle mich noch immer wie gerädert nach dem langen Nachtflug, dennoch muß ich mich schon am frühen Morgen eindeutig zweideutiger Angebote erwehren. Es ist zwar angenehm warm, aber auch ziemlich bewölkt, so daß sich heute außer den berufstätigen Damen leider kaum ein Carioca blicken läßt.

Zum Glück habe ich für den Nachmittag bereits eine Verabredung. Ich treffe mich mit Lucia, einer Radfahrerin aus Rio, die ich im Rahmen der Tourvorbereitung übers Internet kennengelernt hatte. Ein kurzer Anruf, um den genauen Treffpunkt auszumachen, zum Glück sind die Strandhütten durchnummeriert, so daß man sich kaum verfehlen kann. Nach dem üblichen Willkommenshallo gehen wir im Stadtviertel Ipanema in eine Churrascaria.

Für diejenigen, die noch nie in Brasilien waren, bedarf es hier einiger Erklärungen: Eine Churrascaria ist der Alptraum eines jeden Vegetariers. Nur anstandshalber holt man sich am Salatbuffet ein paar Beilagen, dann nimmt man Platz und harrt der Dinge, die da kommen werden: Unaufhörlich bringen dienstbare Geister auf riesigen Spießen frisch gegrillte Köstlichkeiten heran, die einem bis zum Abwinken auf den Teller geschnippelt werden. Neben einem gesunden Appetit ist die einzige Verteidigungswaffe gegen den Ansturm der Kellner eine Art Ampel, also ein rot-grünes Kärtchen oder Holzklötzchen, das man zum Zeichen der Kapitulation auf "rot" stellen kann.

Schnell ist der Nachmittag verplaudert und ich mache mich auf zur Weiterreise. Noch mal 3 oder 4 Stunden eingepfercht in der Touristenklasse. Als ich endlich in Belém ankomme ist es bereits weit nach Mitternacht. Dennoch trifft es mich fast wie ein Schlag ins Gesicht, als ich aus der klimatisierten Flughafenhalle hinaus in die Nacht laufe: Noch immer sind es über 30 Grad, die Luftfeuchtigkeit tut ein übriges. Aber jetzt gönne ich mir ohnehin erst mal ein Taxi bis zu einem Hotel in Downtown. Es ist Samstag Nacht, in den Straßen wimmelt es vor Leben, aber ich will jetzt erst mal schlafen. Allerdings nicht allzu lang, denn früh um 4 heißt es aufstehen, um das möglicherweise vorentscheidende Rennen der Formel Eins in Malaysia nicht zu verpassen. Schumi fährt angeblich wieder mit...

Am Sonntag vormittag absolviere ich zunächst ein kurzes Sightseeing-Pflichtprogramm. Dazu gehört in Belém vor allem der berühmte "Ver-o-Peso"-Markt, auf dem es von billigen Elektroartikeln über Obst, Gemüse, Fleisch und Fisch bis hin zu wundersamen Zaubermitteln praktisch alles zu erstehen gibt. Mittags setzte ich mich dann aber doch lieber in den Bus raus an den Strand. Der Strand von Mosqueiro wurde mir heiß empfohlen, ca. 30 Minuten außerhalb von Belém. Und dort finde ich auch alles vor, was das Herz bei dieser Hitze begehrt: kleine, gemütliche Strandrestaurants, Imbißbuden, Bierstände, Wasser, Sand und Wellen. Allerdings liegt der Strand nicht wie zu vermuten am Atlantik, sondern am Rio Tocantins, einem kleinen Nebenfluß des Amazonas. "Klein" bedeutet in Amazonien allerdings immer noch ein vielfaches der Donau, und hier im Mündungsgebiet ist von der Ilha de Marajó, die irgendwo am anderen Ufer liegen müßte, nichts mehr zu erahnen. Es ist schon irgendwie ein merkwürdiges Gefühl, da drin zu schwimmen, mit weiß der Teufel was es da alles an Viechern darin herumschwimmt.

Fahrradladen in Belem

Nachts habe ich dann noch eine Verabredung mit Kleber Olivera von Belemer Fahrradclub. Unten in der Hotelhalle angekommen werde ich zu meiner Überraschung vom kompletten Radlerclub empfangen. Kleber, den ich zuvor auch nur über Emailkontakte kannte, hatte wohl allen von dem verrückten Deutschen erzählt, der die Transamazonica entlangradeln will, und jetzt stehen sie alle da, um mich willkommen zu heißen. Die Überraschung ist perfekt. Wir stürzen uns umgehend ins Nachtleben von Belém und ich komme erst dementsprechend spät zurück ins Hotel...

Am folgenden Morgen zeigen sie mir noch einige Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt, helfen Vorräte und Zubehör zu kaufen. Meine Einkaufsliste ist ellenlang, denn bis heute konnte mir kein Mensch sagen, wie es denn nun entlang der Transamazonica wirklich ausschaut. Die Angaben reichten von "alles geteert" über "unpassierbar" bis "gibt's nicht mehr". Sicherheitshalber kaufe ich also genügend Lebensmittel für eineinhalb Wochen ein, und dementsprechend schwer werden meine Einkaufstüten.

Zuguter Letzt zeigen mir meine neuen Radlerfreunde noch die Fähre zur anderen Seite des Rio Capim, wo meine Tour beginnen soll. Wirklich sehr nett, die Jungs.

Fähre über den Rio Capim

Schließlich bin ich startklar, und frühmorgens verlasse ich das Hotel unter dem Applaus und Glückwünschen von Hotelpersonal und Gästen... Es ist schon eine Zeitlang her, daß ich zuletzt mit Lowridern und derartig viel Gepäck gefahren bin, und so eiere ich etwas unbeholfen durch die morgendliche Rush-hour zur Bootsanlegestelle. Irgendwo dort drüben beginnt die Fahrt ins Ungewisse. Zunächst einmal muß ich gut 400 Kilometer in Richtung Süden, um auf die offizielle Transamazonica zu stoßen, die dort von Ost nach West verläuft. Die ersten 300 km verlaufen noch auf einer geteerten Straße und sollten kein Problem darstellen. Dann möchte ich allerdings auf eine in der Karte eingezeichnete Nebenstraße abzweigen, und über die dortigen Straßenverhältnisse habe ich genauso wenig Informationen wie über die daran anschließende Strecke auf der Transamazonica.

Fähre über den Rio Capim

Die Fährüberfahrt dauert mehr als eine halbe Stunde, und bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe ist es schon wieder drückend heiß. Wie schön war es doch bei den herbstlichen 15 Grad daheim...

Das schwarze Asphaltband schneidet sich seinen Weg durch den ehedem undurchdringlichen Urwald. Dennoch bin ich überrascht, so nahe an der Millionenstadt Belém noch auf so viel Grün zu stoßen, denn der Bundesstaat Pará ist nicht gerade berühmt für seine Umweltpolitik. Weite Teile des Landes sind an große, internationale Konzerne verpachtet, die dort relativ ungehindert tun und lassen können, was sie wollen. Vielleicht ist es hier ja einfach nur zu sumpfig für Viehweiden, oder man ist aus sonst irgendeinem Grund noch nicht dazu gekommen, den lästigen Wald abzuholzen.

Zwischen Belem und Tucurui

Gegen Mittag brennt die Sonne senkrecht vom blauen Himmel herunter und es gibt kaum einen Schatten. Ich versuche so gut wie möglich voranzukommen, aber ich muß mindestens alle halbe Stunde stoppen um mich in einem der unzähligen Flüsse oder in einer der seltenen Bars am Wegesrand abzukühlen.

Am ersten Tag schaffe ich keine 100 Kilometer, und dennoch bin ich dermaßen abgeschlafft, daß ich kaum noch das Zelt zusammenbringe. Dieses ist in diesen Landstrichen hier ohnehin nicht ganz so einfach. Ich brauche über eine viertel Stunde, um irgendwo im Dickicht genügend Platz für mein Zelt zu schaffen. Die große Machete, die tagsüber martialisch auf meinem Gepäckträger prangt, hat sich schon jetzt bezahlt gemacht. Als das Zelt endlich steht krieche ich nur noch hinein und schlafe sofort ein. Einen Schlafsack habe ich ohnehin nicht dabei, der wäre bei den Temperaturen hier allenfalls zum Schweißabtupfen zu gebrauchen...

Nachts werde ich mehrmals von merkwürdigen Geräuschen rund ums Zelt geweckt, aber ich kümmere mich dann doch nicht weiter darum... sollte es hier irgendwelches gefährliches Getier geben???

Gewitterstimmung

Am nächsten Morgen versuche ich der Hitze ein Schnippchen zu schlagen, indem ich schon im ersten Dämmerlicht losfahre. Bald aber haben die Temperaturen wieder ihr Soll erreicht. Man glaubt man radelt in der Sauna kurz nach einem Aufguß. Stickig warm und absolut kein kühlender Wind.

Wie so häufig stoppte ich gerade wieder einmal an einem kleinen Bach, um mich ein wenig abzukühlen und den klebrigen Schweiß aus meinem T-Shirt zu spülen, als ich oben an der Straße einen anderen Radler mit einem kleinen Rucksack vorbeifahren sehe. Offensichtlich bemerkt er mein Fahrrad im letzten Moment doch noch, denn er dreht um und stoppt für ein kleines Schwätzchen. Im Gegensatz zu mir fährt er jedoch nicht aus Spaß an der Freud: Er hat für einige Monate in Marabá gearbeitet, ca. 300 Kilometer südlich von hier, und jetzt radelt er heim nach Belém, um auf diese Weise das Geld für den Bus zu sparen... Er will wissen, was mich den hierher verschlagen hätte, aber es erscheint mir unmöglich, ihm zu erklären, daß ich gerade 10 seiner Monatsgehälter ausgegeben habe, um um die halbe Welt nach Belém zu fliegen, nur um hier zu meinem persönlichen Vergnügen herumzuradeln... Er trinkt noch einen Schluck Wasser aus dem Bach, wo ich gerade meine Sachen ausgewaschen habe und setzt dann seine Reise fort.

Ich halte mich zum Durstlöschen doch lieber an die kleinen Bars, die man ab und an, und meistens völlig unverhofft, am Straßenrand findet. So ein kühles Bier auf nüchternen Magen ist doch immer wieder lustig und erleichtert die korrekte portugiesische Aussprache erheblich. Ganz im Gegensatz zu meinem Durst hält sich mein Hunger in Grenzen. Ich habe in den letzten Tagen kaum etwas gegessen und bin dennoch nicht hungrig. Irgendwie steht mir der Sinn nicht nach Nahrungsaufnahme in fester Form...

Abgeholzter Regenwald südlich von Belem

Die Landschaft wirkt jetzt mit jedem Kilometer mehr und mehr verlassen. Es gibt weniger Hütten am Straßenrand, jedoch ist auch der Wald zunehmend verschwunden. Anstatt durch grünen Regenwald radle ich weite Strecken durch das steppenartige Ödland ehemaliger oder noch existierender riesiger Rinderfarmen. Auch ist es nicht mehr flach, ich habe bereits die ersten Ausläufer der Serra de Carajas erreicht. Dort befindet sich unter anderem die weltgrößte Eisenerzmine, mit ein Grund, warum hier alle Bäume plattgemacht und zu Holzkohle verarbeitet werden.

Die Hügel sind nicht sonderlich hoch, aber ziemlich steil. Immer öfter muss ich vom Fahrrad absteigen und schieben. Dabei quillt dann die Hitze gnadenlos vom schwarzen Asphalt den ganzen Körper hoch. Zu trinken habe ich nur noch brühwarmes Wasser aus der Plastikflasche und endlich weiß ich, wie sich eine Bratwurscht auf der Kirchweih fühlen muß...

Im Gedenken an die vielen Buschfeuer und Köhlerhaufen nenne ich diese Berge nur noch die "Smokey Mountains". Teilweise ist der Rauch so dicht, daß die Autos und Lkws ihre Lichter eingeschalten haben!! Erst letztes Jahr gab es über dieses Phänomen zahlreiche Berichte im Fernsehen, aber das war irgendwo im dicht besiedelten Indonesien oder auf den Philippinen. Jetzt bin ich dem Lungenkrebs selbst ein ganzes Stück näher gekommen... Ein Gutes hat der Rauch: die Sonne kommt nicht mehr durch und ich habe zumindest etwas Schatten.

Wie überall in Brasilien sind die Leute extrem freundlich, und extrem neugierig noch dazu. Es ist aber nicht immer ganz einfach, sie auch zu verstehen. Hier auf dem Land sprechen sie einen sehr eigenwilligen Dialekt... Manchmal jedoch sind die Leute auch so verwirrt, wenn ich plötzlich mit einem Fahrrad vor ihnen stehe, daß sie gar nichts sagen und mich einfach nur mit großen Augen anstarren, als ob ich von einem fremden Stern käme...

Schließlich ist Schluß mit Lustig:

Staudamm bei Tucurui

Nach dem gigantischen Staudamm am Rio Tocantins geht es ungeteert weiter. Und wieder einmal bewahrheiten sich Murphys Gesetze: "Wenn es schrecklich heiß ist und du dringend eine Abkühlung brauchst kannst du lange warten" und "Es wird regnen, sobald der Teerbelag aufhört". Und so war es denn auch. Nach 3 Tagen Sonnenschein fängt es genau dann an zu regnen, als ich das Ende der geteerten Strecke erreiche. Exakt!! Auf die Minute! Es schüttet den ganzen Nachmittag, und im Matsch und Dreck gibt es kaum ein Weiterkommen.

Ich bin gerade an der Abzweigung nach Tucurui, am Straßenrand ist eine kleine Bar, und ein LKW-Fahrer, der dort gerade hält, bietet gleich an, mich mit rüber in die Stadt zu nehmen. Tucuruí ist ein nettes Städtchen am Rio Tocantins, allerdings ein paar Kilometer abseits der Hauptstraße und eigentlich hatte ich nicht vor, dort einen Zwischenstopp einzulegen. Aber bei dem Regenwetter geht sowieso nichts mehr. Bereitwillig stelle ich mein Fahrrad in der kleinen Bar unter und fahre mit in die Stadt.

Und hier bin ich jetzt, in Tucuruí, Pará, mitten in Nirgendwo, aber mit Internet-Zugriff und Klimaanlage, und noch 2.500 Kilometern vor mir.

Die nächste Mail gibt's vermutlich in zwei Wochen aus Santarem oder Itaituba.

Bis dann

Micha

PS: Sorry wegen der vielen Tippfehler, die haben aber auch seltsame Tastaturen hier. Irgendwie ist keine Taste dort, wo sie sein sollte...



<-- weiter mit Teil 2


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