Transamazonica

Teil 6: Rio Madeira bis Rio Branco

 Beginn der geteerten Welt

  Vom Rio Madeira nach Rio Branco

English Version In Humaitá drehe ich erst mal ein paar Runden durch die Gassen. Viel scheint sich seit meinem letzten Besuch vor 4 Jahren nicht geändert zu haben. Immer noch die gleichen Kneipen, Restaurants und Imbissbuden. Das einzig Neue sind diese nervigen Jeepfahrer, die einem unbedingt eine Fahrt nach Manaus verkaufen wollen.

Das letzte Mal war hier Endstation, die Straße nach Norden war schon seit Jahren gesperrt und unpassierbar und ich musste mit dem Boot weiterfahren. Jetzt ist die Straße zumindest inoffiziell wieder geöffnet und die verwegensten Fahrer schaffen die Strecke angeblich in ein bis zwei Tagen. Wenn es nicht regnet. Besonders gut scheint das Geschäft aber nicht zu laufen, denn 4 oder 5 Tage auf einem Boot sind immer noch angenehmer als ein oder 2 in einem engen, klappernden Jeep.

Ich bin dieses Mal an keiner Tour nach Manaus interessiert, ich will in die entgegengesetzte Richtung weiter. Endlich wieder auf einer Teerstraße. Und während ich noch innerhalb der Stadt herumradle, auf Asphalt, nach 2600 Kilometern Holperpiste, höre ich zum ersten Mal dieses Zischen: "Pffffffffffff........." Mein erster Plattfuss auf dieser Tour!!

Zwischen Humaita und Porto Velho

Aber nicht erst nach diesem Zwischenfall frage ich mich, ob ich mich wirklich über eine Teerstraße freuen soll: Denn nicht nur ich komme hier angenehmer und schneller voran, sondern auch die Holzfäller, Rinderbarone und hoffnungsvolle neue Siedler. Eine ganzjährig befahrbare Straße bedeutet demzufolge auch ganzjährige Abholzung, und dementsprechend wenig ist an solchen Strecken von der Natur übriggeblieben. Seit die BR364 von Porto Velho nach Rio Branco durchgängig geteert ist schießt die Bevölkerungszahl in die Höhe, die Rodungsflächen in Rondonia sind riesig.

Das gleiche gilt für die folgenden 200 Kilometer von Humaitá bis Porto Velho. Zwar lässt sich das von unzähligen Schlaglöchern zersiebte Asphaltband sehr gut befahren, aber viel interessantes gibt es nicht mehr zu sehen.

Die Strecke nach Rio Branco bin ich vor 4 Jahren schon einmal geradelt, ich kürze sie also diesmal mit dem Bus ab. Ich weiß, das ist jetzt nicht ganz die feine Art. Aber schließlich habe ich ja nur ein paar Wochen Jahresurlaub, und da nutze ich die Zeit lieber, um die Gegend jenseits von Rio Branco zu erkunden oder die bolivianische Grenze zu erreichen, anstatt bereits bekannte Strecken entlang endloser Kuhweiden noch einmal zu fahren.

Die eigentliche Radtour ist also hier zu Ende. Es folgen nun noch einige Kurztrips und die Fahrt zur Bolivianischen Grenze.

Sonnenuntergang über dem Rio Madeira

In Porto Velho komme ich am späten Nachmittag an. Auf der Fähre zurück ans Ostufer des Madeira treffe ich einen der LKW-Fahrer wieder, die vor ein paar Tagen nach Apuí wollten und an der kaputten Fähre warten mussten. Sie sind erstaunt, mich erst hier wieder einzuholen, sie seien ja nur zum Abladen nach Apuí und dann hätten sie sich gleich wieder auf den Rückweg gemacht. Wieder einmal bestätigt sich, das man bei den hiesigen Straßenverhältnissen mit einem Fahrrad kaum langsamer ist als mit 300 PS.

Ich radle gleich zum Busterminal und checke den Fahrplan. Der nächste Bus nach Rio Branco fährt erst um Mitternacht, also habe ich noch reichlich Zeit, mir in Porto Velho die Füße zu vertreten. Die einzige Touristenattraktion ist der alte Bahnhof. Ja, so was gibt es hier tatsächlich! Es sind die Überbleibsel der Madeira-Marmoré-Linie, die Porto Velho mit Riberalta in Bolivien verbinden sollte, oberhalb der gefürchteten Stromschnellen des Rio Madeira.

Gebaut wurde das Ganze irgendwann neunzehnhundertirgendwas, als Entschädigung dafür, das man Bolivien das abgenommen hat, was heute den Bundesstaat Acre bildet. Allerdings hat die Bahnlinie niemals bolivianisches Gebiet erreicht, und das fertiggestellte Teilstück bis Guajara Mirim war auch nur ein paar Jahre in Betrieb. Heute sind davon nur noch ein paar rostige Dampfeisenbahnen übrig, eine davon wurde sogar für die Touristen wieder hergerichtet und fährt jetzt ein Mal pro Woche auf den 20 letzten verbliebenen Gleiskilometern. Den Rest hat sich der Dschungel zurückgeholt.

Zwischen dem alten Bahnhof und dem Fluss gibt es einen kleinen Platz mit zahlreichen Bierständen und Imbissbuden, unten im Wasser dümpeln 2 oder 3 Partyboote mit entsprechend lauter Musik. Das war mein Lieblingsplatz bei meinem ersten Besuch, und hier verbringe ich auch die Zeit bis zur Abfahrt des Busses.

Ich halte auch Ausschau nach anderen "Gringos". Es verirren sich nicht viele Touristen hierher, Porto Velho liegt "off the beaten path". Hierher kommt man eigentlich nur, um entweder mit dem Boot weiter gen Norden nach Manaus zu fahren, oder mit dem Bus westlich nach Bolivien/Peru oder südlich in Richtung Pantanal.

Die Entfernungen sind gigantisch, es dauert 5 Tage nach Manaus, 2 oder 3 auf dem kürzlich wiedereröffnetem Landweg, wenn man Glück hat, 3 Tage nach La Paz oder 2 Tage nach Brasília, und so fliegen die meisten Leute lieber drüber weg. Die die genügend Zeit haben, nicht zu fliegen, sind meistens schon seit Monaten unterwegs. Heute ist aber niemand zu sehen.

Um Mitternacht besteige ich meinen Bus und los geht's. Die Strecke ist ziemlich flach, durchgehend geteert und alle paar Kilometer gibt es Bars oder Restaurants. Mal abgesehen von der Hitze war es sehr leicht zu fahren. Aber jetzt im Bus frage ich mich, was in den letzten 4 Jahren mit der Strecke passier ist. Es rumst und scheppert in einer Tour, es fühlt sich an wie auf einer miesen Schotterpiste. Diese löchrigen Asphaltdecken scheinen sich wirklich nur auf zwei Rädern befahren zu lassen...

Um 3 Uhr Nachts stehe ich schon wieder am Rio Madeira.

Die Fähre fährt streng nach Vorschrift nur ein mal pro Stunde, und so müssen wir 55 Minuten warten, auch wenn sich hinter uns schon 20 andere Fahrzeuge anstauen. Auf der anderen Seite legt die Fähre übrigens nicht am Rio Madeira, sondern in der Mündung des Rio Abunã an. Rio Madeira und Rio Abunã bilden die Grenze zwischen Brasilien und Bolivien, und beim Anlegemanöver befindet man sich eigentlich schon auf bolivianischem Gebiet.

Nach weiteren 3 Stunden Fahrt erreiche ich bei Sonnenaufgang Rio Branco, meine Lieblingsstadt in Brasilien. Weitere 10 Minuten vom Busbahnhof zum Hauptplatz, wo eine ganz besondere Willkommensparty auf mich wartet...

Ich habe noch einige Tage Zeit, bevor ich zurückfliegen muss, und es gibt hier auch einiges zu tun.

Als erstes, nach meiner Willkommensparty, besuche ich meinen Freund Gilberto Farias, den ich vor fast 5 Jahren auf Feuerland kennengelernt habe. Vor zwei Jahren ist er erneut zu einer großen Fahrradtour aufgebrochen, diesmal aber mit seiner Frau und seinem erst ein paar Monate altem Kind. Erst vor wenigen Wochen ist er zurückgekommen und ist gerade damit beschäftigt, sein neues Buch und eine Ausstellung in der Stadthalle vorzubereiten. Auch kein schlechter Weg, seine Brötchen zu verdienen. Ich sitze im Dezember wieder in meinem Büro...

Nicht einmal die beste Waschmaschine kann es mit dem roten Dreck der Transamazonica aufnehmen. Ich muss mich neu einkleiden. Aber das ist hier leichter gesagt als getan, wenn man in Ruhe einkaufen will. Da Angestellte hier ja so gut wie nichts kosten können es sich die Ladenbesitzer leisten, wahre Heerscharen von Verkäufern zu beschäftigen. Einige bekommen tatsächlich den Mindestlohn von 50 Euro. Pro Monat natürlich, nicht pro Tag. Die meisten bekommen aber weniger, und müssen versuchen, auf Provisionsbasis ein paar Centavos zusätzlich hereinzukriegen. Das hat zur Folge, das man in brasilianischen Kleiderläden von Verkäuferinnen und Verkäufern bestürmt wird, sobald man auch nur in Richtung des Ladens guckt. Heute traue ich mich da nicht heran.

Es ist ein langes Wochenende. Am Montag ist ein Feiertag, der "Dia de Petropolis", an dem des Vertrags von Petropolis gedacht wird, mit dem man die Annexion des heutigen Acre von Bolivien besiegelt hat. Ein Teil des Friedensvertrags beinhaltete den Bau der Bahnlinie von Porto Velho nach Riberalta. Sie hat niemals bolivianisches Gebiet erreicht. Die Bolivianer sind immer noch etwas beleidigt, also ist es wahrscheinlich besser, noch ein paar Tage zu warten, bevor ich weiter nach Bolivien fahre.

Man sagt Acre sei der gefährlichste und gewalttätigste Bundesstaat Brasiliens. Das mag sogar stimmen. Die lange, unkontrollierbare Grenze sowohl mit Bolivien als auch mit Peru, dazu ein korruptes Rechtssystem und Polizisten, die an jedem Deal mitverdienen, machen es zu einer Hauptader des Drogenschmuggels. Wildwestartige Schießereien sind an der Tagesordnung. Schlagzeilen hat Acre jedoch hauptsächlich durch die Ermordung von Chico Mendes gemacht. Der gewaltsame Tod des Umweltschützers und Gewerkschaftsführers der Kautschukzapfer vor 11 Jahren war wahrscheinlich das einzige Mal, das Acre internationale Aufmerksamkeit erlangte.

Mit dem Kanu in Acre

Als einfacher Tourist, der sich nicht weiter für Politik und Drogen interessiert kriegt man von alledem kaum etwas mit. Ich verbringe die meiste Zeit vor den Toren der Stadt, mit Fahrrad oder Kanu fahren, und komme erst am Abend zurück, um mich ins brasilianische Nachtleben zu stürzen. So wie bei uns in den Biergärten unter Kastanien so sitzt man hier oft unter alten Mangobäumen. Ausgerechnet jetzt ist auch noch Mangosaison. Eine sehr gefährliche Angelegenheit, wenn man beim Biertrinken keinen Helm trägt...

Aber schließlich geht's dann los zur letzten Etappe dieser Tour: Die Fahrt nach Plácido de Castro, an der bolivianischen Grenze. Auf der Straße raus aus Rio Branco komme ich am alten Flughafen vorbei, der erst vor ein paar Tagen geschlossen wurde. Die Landebahn ist jetzt Privatbesitz, und der Eigentümer hat vorsorglich gleich ein paar Fuhren Sand und Dreck draufkippen lassen, um zukünftige illegale Landungen zu verhindern.

Und natürlich auch nicht genehme Starts. Denn noch immer steht eine große Maschine vor der alten Sperrholzhütte, die einmal das Flughafengebäude war. Man hat es wohl nicht mehr rechtzeitig heraus geschafft und wird nun wohl ein saftiges Schmiergeld für die Starterlaubnis zahlen müssen.

Sehr zur Freude der Taxifahrer wurde der neue Flughafen fast 30 Kilometer außerhalb gebaut. Und riesengroß ist er, groß genug für Jumbos und große Airbusse, falls es die jemals hierher verschlagen sollte.

Es ist nur leicht hügelig, ich fahre nur mit wenig Gepäck und auf einer Teerstraße. Nach all der Zeit mit massig Gepäck und auf Dreck hat man den Eindruck, es ginge von ganz alleine vorwärts. Man muss nur ein mal anfahren, dann rollt es meilenweit alleine weiter. Naja, so kommt es mir jedenfalls vor.

Ein paar Kilometer außerhalb von Rio Branco kommt man am "Parque Chico Mendes" vorbei, einer Anlage ähnlich den städtischen Erholungsanlagen, wie man sie daheim findet, auch hier ausgestattet mit dem, was die heimische Flora und Fauna zu bieten hat. In den Streichelgehegen findet man demzufolge statt Tauben, Eichhörnchen oder Füchsen niedliche kleine Papageien, Affen und Jaguare. Zum Glück sind letztere hinter dicken Eisenstangen, ich glaube unterwegs hätte ich denen doch lieber nicht begegnen wollen...

Eilig habe ich es jetzt nicht mehr, und so lasse ich mir keine Gelegenheit entgehen, an Bars oder Mangobäumen am Straßenrand anzuhalten. Die schattigen Bäume mit den reifen Mangos sind beliebte Treffpunkte auch für die einheimischen Radfahrer, die hier im noch dichter besiedelten Randgebiet Rio Brancos unterwegs sind. Ich treffe sogar jemanden, der zu Fuß nach Bolivien will. Er kann sich den Bus nicht leisten, und Anhalter werden hier grundsätzlich nur gegen Bares mitgenommen, außer eventuell irgendwelche exotischen Touristen mit Fahrädern. Er ist gestern in Rio Branco losgelaufen und will in 3 Tagen Plácido de Castro erreichen. Ob da nicht die Schuhsohlen teurer sind als die 10 Reais (5 Euro), die der Bus gekostet hätte?

Die Außenbezirke von Rio Branco sind riesig. Siedlungen und Fazendas erstrecken sich stundenlang entlang der Teerstraße. Wenn man nur entlang der asphaltierten Straßen fährt gewinnt man rasch den Eindruck, das vom Urwald überhaupt nichts mehr übrig wäre... Dies hier ist das Gebiet von Chico Mendes, das Schlachtfeld zwischen den Kautschukzapfern, die vom Wald abhängen, und den Rinderbaronen, denen selbiger im Weg steht. Die Schlacht ist noch nicht ganz entschieden, aber die Zeit und die Pistolereos arbeiteten für die Rinderbarone.

Plácido de Castro ist ein kleines Nest am Rio Abunã, benannt nach dem Typen, der Acre von Bolivien 'befreit' hat. Am anderen Ufer beginnt bereits die bolivianische Provinz Pando. Dort gibt es auch eine kleine Ansammlung von Hütten, allerdings ohne Landverbindung ins restliche Bolivien, es gibt nicht einmal Straßen innerhalb des Dorfes. Eine Brücke gibt's natürlich auch nicht, ein Fahrrad per Kanu rüberzuzerren wäre wohl ziemlich lächerlich, und so lasse ich meinen Drahtesel am brasilianischen Ufer stehen, ziehe T-Shirt und Schlappen aus und schwimme hinüber.

Zwischen Bolivien und Brasilien am Rio Abunã

Der Rio Abunã ist ein relativ kleiner Fluss, dennoch schwankt sein Wasserspiegel zwischen Trocken- und Regenzeit um bis zu 15 Meter. Jetzt, zu Beginn der Regenzeit ist er noch niedrig, und so muss ich zunächst die Uferböschung und dann noch die Leitern zu den auf Pfählen errichteten Häusern erklimmen. Viel zu sehen gibt es hier nicht. Der Brasilianische Real wurde vor einem dreiviertel Jahr um die Hälfte abgewertet. Sonst kamen etliche Brasilianer zum Einkaufen hierher, aber jetzt lohnt sich das nicht mehr. Zwar gibt es noch etliche Krimskramsläden, wo man echte chinesische Rolex, echte Samsonite-Koffer und die neuesten Top-Ten CD's kaufen kann, aber die Kundschaft bleibt aus. Aber lustig ist es schon, plötzlich die spanisch sprechenden Bolivianer um sich zu haben. "¿Gringo, que passa?" Spanisch klingt so völlig anders als Portugiesisch.

Auch in Bolivien gibt es genießbares Bier, und es gibt hier sogar eine kleine Bar, aber dummerweise habe ich mein Geld drüben beim Fahrrad gelassen... und so feiere ich das Ende meine Radtour ohne meine Fahrrad und ohne etwas zu trinken. Und in nassen Shorts.

Micha



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