In Humaitá drehe ich erst mal ein paar Runden durch die Gassen. Viel
scheint sich seit meinem letzten Besuch vor 4 Jahren nicht geändert zu
haben. Immer noch die gleichen Kneipen, Restaurants und Imbissbuden.
Das einzig Neue sind diese nervigen Jeepfahrer, die einem unbedingt
eine Fahrt nach Manaus verkaufen wollen.
Das letzte Mal war hier Endstation, die Straße nach Norden war schon
seit Jahren gesperrt und unpassierbar und ich musste mit dem Boot
weiterfahren. Jetzt ist die Straße zumindest inoffiziell wieder
geöffnet und die verwegensten Fahrer schaffen die Strecke angeblich in
ein bis zwei Tagen. Wenn es nicht regnet. Besonders gut scheint das
Geschäft aber nicht zu laufen, denn 4 oder 5 Tage auf einem Boot sind
immer noch angenehmer als ein oder 2 in einem engen, klappernden Jeep.
Ich bin dieses Mal an keiner Tour nach Manaus interessiert, ich will in
die entgegengesetzte Richtung weiter. Endlich wieder auf einer
Teerstraße. Und während ich noch innerhalb der Stadt herumradle, auf
Asphalt, nach 2600 Kilometern Holperpiste, höre ich zum ersten Mal
dieses Zischen: "Pffffffffffff........." Mein erster Plattfuss auf
dieser Tour!!
Das gleiche gilt für die folgenden 200 Kilometer von Humaitá bis Porto
Velho. Zwar lässt sich das von unzähligen Schlaglöchern zersiebte
Asphaltband sehr gut befahren, aber viel interessantes gibt es nicht
mehr zu sehen.
Die Strecke nach Rio Branco bin ich vor 4 Jahren schon einmal geradelt,
ich kürze sie also diesmal mit dem Bus ab. Ich weiß, das ist jetzt
nicht ganz die feine Art. Aber schließlich habe ich ja nur ein paar
Wochen Jahresurlaub, und da nutze ich die Zeit lieber, um die Gegend
jenseits von Rio Branco zu erkunden oder die bolivianische Grenze zu
erreichen, anstatt bereits bekannte Strecken entlang endloser Kuhweiden
noch einmal zu fahren.
Die eigentliche Radtour ist also hier zu Ende. Es folgen nun noch
einige Kurztrips und die Fahrt zur Bolivianischen Grenze.
Ich radle gleich zum Busterminal und checke den Fahrplan. Der nächste Bus
nach Rio Branco fährt erst um Mitternacht, also habe ich noch reichlich
Zeit, mir in Porto Velho die Füße zu vertreten. Die einzige
Touristenattraktion ist der alte Bahnhof. Ja, so was gibt
es hier tatsächlich! Es sind die Überbleibsel der Madeira-Marmoré-Linie, die
Porto Velho mit Riberalta in Bolivien verbinden sollte, oberhalb der
gefürchteten Stromschnellen des Rio
Madeira.
Gebaut wurde das Ganze irgendwann neunzehnhundertirgendwas, als
Entschädigung dafür, das man Bolivien das abgenommen hat, was heute den
Bundesstaat Acre bildet. Allerdings hat die Bahnlinie niemals
bolivianisches Gebiet erreicht, und das fertiggestellte Teilstück bis
Guajara Mirim war auch nur ein paar Jahre in Betrieb. Heute sind davon
nur noch ein paar rostige Dampfeisenbahnen übrig, eine davon wurde
sogar für die Touristen wieder hergerichtet und fährt jetzt ein Mal pro
Woche auf den 20 letzten verbliebenen Gleiskilometern. Den Rest hat
sich der Dschungel zurückgeholt.
Zwischen dem alten Bahnhof und dem Fluss gibt es einen kleinen Platz
mit zahlreichen Bierständen und Imbissbuden, unten im Wasser dümpeln 2
oder 3 Partyboote mit entsprechend lauter Musik. Das war mein
Lieblingsplatz bei meinem ersten Besuch, und hier verbringe ich auch
die Zeit bis zur Abfahrt des Busses.
Ich halte auch Ausschau nach anderen "Gringos". Es verirren sich nicht viele
Touristen hierher, Porto Velho liegt "off the beaten path". Hierher kommt
man eigentlich nur, um entweder mit dem Boot weiter gen Norden nach Manaus
zu fahren, oder mit dem Bus westlich nach Bolivien/Peru oder südlich in
Richtung Pantanal.
Die Entfernungen sind gigantisch, es dauert 5 Tage nach Manaus, 2 oder
3 auf dem kürzlich wiedereröffnetem Landweg, wenn man Glück hat, 3 Tage
nach La Paz oder 2 Tage nach Brasília, und so fliegen die meisten Leute
lieber drüber weg. Die die genügend Zeit haben, nicht zu fliegen, sind
meistens schon seit Monaten unterwegs. Heute ist aber niemand zu sehen.
Um Mitternacht besteige ich meinen Bus und los geht's. Die Strecke ist
ziemlich flach, durchgehend geteert und alle paar Kilometer gibt es
Bars oder Restaurants. Mal abgesehen von der Hitze war es sehr leicht zu
fahren. Aber jetzt im Bus frage ich mich, was in den letzten 4 Jahren mit
der Strecke passier ist. Es rumst und scheppert in einer Tour, es fühlt sich
an wie auf einer miesen Schotterpiste. Diese löchrigen Asphaltdecken
scheinen sich wirklich nur auf zwei Rädern befahren zu lassen...
Um 3 Uhr Nachts stehe ich schon wieder am Rio Madeira.
Die Fähre fährt streng nach Vorschrift nur ein mal pro Stunde, und so
müssen wir 55 Minuten warten, auch wenn sich hinter uns schon 20 andere
Fahrzeuge anstauen. Auf der anderen Seite legt die Fähre übrigens nicht
am Rio Madeira, sondern in der Mündung des Rio Abunã an. Rio Madeira
und Rio Abunã bilden die Grenze zwischen Brasilien und Bolivien, und
beim Anlegemanöver befindet man sich eigentlich schon auf
bolivianischem Gebiet.
Nach weiteren 3 Stunden Fahrt erreiche ich bei Sonnenaufgang Rio Branco,
meine Lieblingsstadt in Brasilien. Weitere 10 Minuten vom Busbahnhof zum
Hauptplatz, wo eine ganz besondere Willkommensparty auf mich wartet...
Ich habe noch einige Tage Zeit, bevor ich zurückfliegen muss, und es gibt
hier auch einiges zu tun.
Als erstes, nach meiner Willkommensparty, besuche ich meinen Freund Gilberto
Farias, den ich vor fast 5 Jahren auf Feuerland kennengelernt habe. Vor zwei
Jahren ist er erneut zu einer großen Fahrradtour aufgebrochen, diesmal aber
mit seiner Frau und seinem erst ein paar Monate altem Kind. Erst vor wenigen
Wochen ist er zurückgekommen und
ist gerade damit beschäftigt, sein neues Buch und eine Ausstellung in der
Stadthalle vorzubereiten. Auch kein schlechter Weg, seine Brötchen zu
verdienen. Ich sitze im Dezember wieder in meinem Büro...
Nicht einmal die beste Waschmaschine kann es mit dem roten Dreck der
Transamazonica aufnehmen. Ich muss mich neu einkleiden. Aber das ist
hier leichter gesagt als getan, wenn man in Ruhe einkaufen will. Da
Angestellte hier ja so gut wie nichts kosten können es sich die
Ladenbesitzer leisten, wahre Heerscharen von Verkäufern zu
beschäftigen. Einige bekommen tatsächlich den Mindestlohn von 50 Euro.
Pro Monat natürlich, nicht pro Tag. Die meisten bekommen aber weniger, und
müssen versuchen, auf Provisionsbasis ein paar Centavos zusätzlich
hereinzukriegen. Das hat zur Folge, das man in brasilianischen Kleiderläden
von Verkäuferinnen und Verkäufern bestürmt wird, sobald man auch nur in
Richtung des Ladens guckt. Heute traue ich mich da nicht heran.
Es ist ein langes Wochenende. Am Montag ist ein Feiertag, der "Dia de
Petropolis", an dem des Vertrags von Petropolis gedacht wird, mit dem
man die Annexion des heutigen Acre von Bolivien besiegelt hat. Ein Teil
des Friedensvertrags beinhaltete den Bau der Bahnlinie von Porto Velho
nach Riberalta. Sie hat niemals bolivianisches Gebiet erreicht. Die
Bolivianer sind immer noch etwas beleidigt, also ist es wahrscheinlich
besser, noch ein paar Tage zu warten, bevor ich weiter nach Bolivien
fahre.
Man sagt Acre sei der gefährlichste und gewalttätigste Bundesstaat
Brasiliens. Das mag sogar stimmen. Die lange, unkontrollierbare Grenze
sowohl mit Bolivien als auch mit Peru, dazu ein korruptes Rechtssystem
und Polizisten, die an jedem Deal mitverdienen, machen es zu einer
Hauptader des Drogenschmuggels. Wildwestartige Schießereien sind an der
Tagesordnung. Schlagzeilen hat Acre jedoch hauptsächlich durch die
Ermordung von Chico Mendes gemacht. Der gewaltsame Tod des
Umweltschützers und Gewerkschaftsführers der Kautschukzapfer vor 11
Jahren war wahrscheinlich das einzige Mal, das Acre internationale
Aufmerksamkeit erlangte.
Aber schließlich geht's dann los zur letzten Etappe dieser Tour: Die
Fahrt nach Plácido de Castro, an der bolivianischen Grenze. Auf der
Straße raus aus Rio Branco komme ich am alten Flughafen vorbei, der
erst vor ein paar Tagen geschlossen wurde. Die Landebahn ist jetzt
Privatbesitz, und der Eigentümer hat vorsorglich gleich ein paar Fuhren
Sand und Dreck draufkippen lassen, um zukünftige illegale Landungen zu
verhindern.
Und natürlich auch nicht genehme Starts. Denn noch immer steht eine
große Maschine vor der alten Sperrholzhütte, die einmal das
Flughafengebäude war. Man hat es wohl nicht mehr rechtzeitig heraus
geschafft und wird nun wohl ein saftiges Schmiergeld für die
Starterlaubnis zahlen müssen.
Sehr zur Freude der Taxifahrer wurde der neue Flughafen fast 30
Kilometer außerhalb gebaut. Und riesengroß ist er, groß genug für
Jumbos und große Airbusse, falls es die jemals hierher verschlagen
sollte.
Es ist nur leicht hügelig, ich fahre nur mit wenig Gepäck und auf einer
Teerstraße. Nach all der Zeit mit massig Gepäck und auf Dreck hat man
den Eindruck, es ginge von ganz alleine vorwärts. Man muss nur ein mal
anfahren, dann rollt es meilenweit alleine weiter. Naja, so kommt es
mir jedenfalls vor.
Ein paar Kilometer außerhalb von Rio Branco kommt man am "Parque Chico
Mendes" vorbei, einer Anlage ähnlich den städtischen Erholungsanlagen,
wie man sie daheim findet, auch hier ausgestattet mit dem, was die
heimische Flora und Fauna zu bieten hat. In den Streichelgehegen findet
man demzufolge statt Tauben, Eichhörnchen oder Füchsen niedliche
kleine Papageien, Affen und Jaguare. Zum Glück sind letztere hinter
dicken Eisenstangen, ich glaube unterwegs hätte ich denen doch lieber
nicht begegnen wollen...
Eilig habe ich es jetzt nicht mehr, und so lasse ich mir keine
Gelegenheit entgehen, an Bars oder Mangobäumen am Straßenrand
anzuhalten. Die schattigen Bäume mit den reifen Mangos sind beliebte
Treffpunkte auch für die einheimischen Radfahrer, die hier im noch dichter
besiedelten Randgebiet Rio Brancos unterwegs sind. Ich treffe sogar
jemanden, der zu Fuß nach Bolivien will. Er kann sich den Bus nicht
leisten, und Anhalter werden hier grundsätzlich nur gegen Bares
mitgenommen, außer eventuell irgendwelche exotischen Touristen mit
Fahrädern. Er ist gestern in Rio Branco losgelaufen und will in 3 Tagen
Plácido de Castro erreichen. Ob da nicht die Schuhsohlen teurer sind
als die 10 Reais (5 Euro), die der Bus gekostet hätte?
Die Außenbezirke von Rio Branco sind riesig. Siedlungen und Fazendas
erstrecken sich stundenlang entlang der Teerstraße. Wenn man nur
entlang der asphaltierten Straßen fährt gewinnt man rasch den Eindruck,
das vom Urwald überhaupt nichts mehr übrig wäre... Dies hier ist das
Gebiet von Chico Mendes, das Schlachtfeld zwischen den
Kautschukzapfern, die vom Wald abhängen, und den Rinderbaronen, denen
selbiger im Weg steht.
Die Schlacht ist noch nicht ganz entschieden, aber die Zeit und die
Pistolereos arbeiteten für die Rinderbarone.
Plácido de Castro ist ein kleines Nest am Rio Abunã, benannt nach dem
Typen, der Acre von Bolivien 'befreit' hat. Am anderen Ufer beginnt
bereits die bolivianische Provinz Pando. Dort gibt es auch eine kleine
Ansammlung von Hütten, allerdings ohne Landverbindung ins restliche
Bolivien, es gibt nicht einmal Straßen innerhalb des Dorfes. Eine
Brücke gibt's natürlich auch nicht, ein Fahrrad per Kanu rüberzuzerren
wäre wohl ziemlich lächerlich, und so lasse ich meinen Drahtesel am
brasilianischen Ufer stehen, ziehe T-Shirt und Schlappen aus und
schwimme hinüber.
Auch in Bolivien gibt es genießbares Bier, und es gibt hier sogar eine
kleine Bar, aber dummerweise habe ich mein Geld drüben beim Fahrrad
gelassen... und so feiere ich das Ende meine Radtour ohne meine Fahrrad
und ohne etwas zu trinken. Und in nassen Shorts.
Micha
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